Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Dauerfrost des Kalten Kriegs stecken. Kommunistische Politiker ergriffen jede Gelegenheit, die sich ihnen bot, um das Mafiathema anzuschneiden – und gegen die Christdemokraten ins Feld zu führen. Doch ohne die Regierungsgewalt blieben sie Rufer in der Wüste. Einer der scharfsinnigsten und sarkastischsten Rufer war Pio La Torre, der junge Anführer der Kommunistischen Partei auf Sizilien:
»Die Wahrheit ist, dass es in Palermo und in weiten Bereichen Westsiziliens keinen Wirtschaftszweig gibt, der nicht von der Mafia kontrolliert wird. Dies ist das Resultat eines langen Prozesses – und parallel dazu gedieh in Palermo und auf der restlichen Insel das christdemokratische Regime.«
La Torre wusste, wovon er sprach: Er war in Altarello di Baida geboren, einem Dorf inmitten der Zitrusgärten um Palermo – der Kinderstube der Mafia.
Auf Vorwürfe wie diese reagierte die
Democrazia Cristiana
allzu oft mit einem Griff in eine Klamottenkiste widersprüchlicher Mythen: Die Mafia sei längst im Aussterben begriffen, hieß es dann, sie sei lediglich eine harmlose sizilianische Tradition; sie sei eine Erfindung der Linken, die Sizilien und die
Democrazia Cristiana
mit Schmutz bewerfen wollten; sie existiere überhaupt nicht; Mafiosi würden sich ohnehin nur gegenseitig töten;
gangsterismo
sei ein amerikanisches Problem.
Die linke Opposition hatte die
Kefauver hearings
nicht vergessen und setzte sich intensiv dafür ein, dass etwas Ähnliches in Italien stattfand: ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gegen die sizilianische Mafia. Die Christdemokraten waren in zwei sich wandelnde Lager gespalten, die sich erbittert bekämpften. In der Hitze des Gefechts warfen viele Parteiführer der Christdemokraten nur ungern einen allzu genauen Blick auf die ethische Gesinnung ihrer sizilianischen Wahlhelfer. So ließ die
Democrazia Cristiana
jahrelang alles schleifen und verlor nur dann an Boden, wenn den Linken durch das Dynamit der Mafia die Herzen zuflogen.
Im Herbst 1962 begann in und um Palermo ein Konflikt, der später als der erste Mafiakrieg bekannt werden sollte. Die charakteristische Waffe des Konflikts war eine taktische Neuheit in den Bandenkriegen Italiens: die Autobombe. Stets war es ein Alfa Romeo Giulietta, der mit Sprengstoff versehen wurde. Die Giulietta war ein typisches Symbol des italienischen Wirtschaftswunders. 1962 wurde sie zum Symbol für das Gleichziehen der sizilianischen Mafia mit dem Wachstum der legalen Wirtschaft.
Obwohl nach der bekannten Version ein missglücktes Drogengeschäft den ersten Mafiakrieg ausgelöst hatte, gaben die wahren Hintergründe damaligen Kommentatoren Rätsel auf und sind noch heute ungewiss. Viele der Kämpfer wussten selbst nicht genau, wo die Front verlief. Im Wesentlichen war die wiederbelebte Kommission offenbar außerstande, Konflikte über Drogen, Beton und Hoheitsgebiete einzudämmen. Einige Mafiosi aus Palermo betrachteten die Kommission selbst mit berechtigtem Misstrauen: In ihren Augen diente sie nicht der Schlichtung von Streitigkeiten, sondern wurde von einigen mächtigen Bossen manipuliert. Der strukturelle Zwist innerhalb der sizilianischen Mafia hatte eine blutige Wendung genommen. Nicht zum letzten Mal wiesen die Ereignisse in Palermo den Weg in die Zukunft des organisierten Verbrechens in Italien. An die hundert Menschen starben im ersten Mafiakrieg – mehr als in jedem anderen Bandenkrieg seit den vierziger Jahren. Die Cosa Nostra war unbeständiger geworden in ihrer Innenpolitik und augenfälliger in ihrer Gewalt. Bald würden die übrigen Mafiaorganisationen diesem Trend folgen.
Vor dem Hintergrund der Autobomben und anderer Gewalttaten in Palermo wurde zähneknirschend eine parlamentarische Untersuchung gegen die Mafia eingeleitet. Allerdings sah es ganz danach aus, als werde sie nie richtig in die Gänge kommen. Dann detonierte am 30 . Juni 1963 ein weiterer Sprengsatz in einer Giulietta in Ciaculli: Die Bombe riss vier Carabinieri, zwei Militäringenieure und einen Polizeibeamten in den Tod. Eigentliches Ziel der Bombe war vermutlich der örtliche Mafiaclan, die Greco-Familie, eine der ältesten und mächtigsten Dynastien Palermos.
Bemerkenswerterweise blieb die
Democrazia Cristiana
sogar am Tag des Anschlags sehr empfindlich, was das Wort »Mafia« anging. Die christdemokratischen Honoratioren, die die obersten Verwaltungsposten des Landes belegten, schickten den Angehörigen der Opfer Kondolenzschreiben und äußerten öffentlich ihre
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