Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
schließlich begnadigt. Als Concetta in ihre Straße zurückkehrte, den Vico Carbonari, hatte man neben den Bildern der Jungfrau Maria im örtlichen Straßengewirr Fotos von Präsident Giovanni Gronchi aufgestellt.
Da der Film
Gestern, heute und morgen
in der Altstadt von Neapel spielte, konnte De Sica unmittelbar erleben, wie nah das Drehbuch der Wirklichkeit kam. Neapel war eine Stadt, in der viele bedürftige Familien dank der chronisch schwachen Wirtschaft vom Schwarzhandel abhängig waren, um Essen auf den Tisch zu bringen. De Sica gab einer stadtbekannten Neapolitanerin mit neun Kindern eine Statistenrolle: Sie brüstete sich, wegen Schmuggeldelikten 113 -mal im Gefängnis gewesen zu sein. In Forcella gab es viele andere Zigarettenverkäuferinnen, die legendär geworden sind. Eine gewisse »Rosetta« war eine der hübschesten von den Frauen, die einen Aufpreis verlangten für sogenannte »Spaß-Glimmstengel« – Zigaretten, die die Kunden aus ihren üppigen Dekolletés hervorfingern mussten. (Ein Film mit Sophia Loren, der auf Rosettas Geschichte gründete, wäre wohl kaum an der Zensur vorbeigekommen.)
Während De Sicas Aufenthalt im Hotel Ambassador stellte sich Muccardos Ehemann bei ihm vor und verlangte, an den Einnahmen des Films beteiligt zu werden. Auf ein Zeitungsfoto deutend, das Sophia Loren am Set mit einem falschen Babybauch zeigte, erwiderte De Sica ein wenig hilflos: »Sehen Sie denn nicht, wie schön sie ist? Genauso dick wie Ihre Frau in diesem Zustand.« Der Mann wollte sich nicht abspeisen lassen: »Ja schon, Signor De Sica, aber dieser Bauch ist voller Millionen: der von meiner Frau ist voller Luft.« Als De Sica diese Episode in einem Brief seiner Familie schilderte, wusste er nicht mehr darüber zu sagen als: »Es sind eben arme Leute.«
Sowohl De Sicas Film als auch seine Reaktion auf das, was er in Neapel während der Dreharbeiten gesehen hatte, sind ein getreues Abbild des Dilemmas, in dem sich die italienischen Behörden befanden. Das Tabakschmuggelverbot ließ sich auf der Straße schlicht nicht umsetzen. Ein scharfes Durchgreifen, ohne zugleich jene zu verletzen, die vom Schmuggel ihr Dasein fristeten, nämlich die ärmsten Bewohner der neapolitanischen Elendsviertel, schien schier unmöglich. Es war in der Tat ein Dilemma, das der italienische Staat nicht zu lösen wusste, also versuchte er konzeptlos Verbote durchzusetzen, fiel damit auf die Nase und ging dann dazu über, beide Augen zuzudrücken. Als
Gestern, heute und morgen
anlief, wurde noch im selben Jahr eine Amnestie für illegale Zigarettenhändler beschlossen; und eine weitere im Jahr 1966 . Auf der ganzen Welt sind Initiativen, die darauf abzielen, Substanzen wie Tabak und Alkohol zu verbieten oder einzuschränken, schwer durchzusetzen. Finden diese Initiativen keinen Rückhalt in der Bevölkerung, dann gilt das Gesetz allzu leicht als drakonisch, unrealistisch und inkonsequent. Das kostbare Prinzip, dem zufolge es in aller Interesse ist, wenn der Staat faire Regeln einführt und durchsetzt, kann nur Schaden nehmen, und der Staat selbst fällt in Misskredit. In Italien, wo dieses Prinzip ohnehin stets Mühe hatte, sich zu behaupten, war der Schaden an der Glaubwürdigkeit des Staates in der Tat immens. In Neapel standen Schmuggelzigaretten offen zum Verkauf, sogar in den Korridoren von Regierungsgebäuden.
Gestern, heute und morgen
kam zu einem wichtigen Zeitpunkt für den Tabakschmuggel und somit für alle italienischen Mafias in die Kinos: Der Zigarettenschmuggel wurde allmählich zu einem Industriezweig, und diese Industrie wurde zum Hauptbetätigungsfeld des organisierten Verbrechens.
Der für den Aufschwung von Italiens Tabakschmuggelindustrie maßgebliche Vorfall ereignete sich in Nordafrika. Im Oktober 1959 bestätigte Mohammed V., König des neuerdings unabhängigen Marokko, die Befürchtungen der Schmuggler, indem er verkündete, dass binnen sechs Monaten der Hafen von Tanger seine besonderen Privilegien verlieren würde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es in der Stadt Tanger, gegenüber von Gibraltar am Eingang zum Mittelmeer gelegen, eine große »Internationale Zone« gegeben mit wenigen Passkontrollen, niedrigen Steuern und keinerlei Währungsbeschränkung. Banken brauchten nicht einmal Bilanzen vorzulegen. Kurzum, Tanger war ein wahres Schmuggeleldorado und ein Zentrum für illegale Aktivitäten jenseits des Mittelmeeres. Wie der amerikanische Romanautor Paul Bowles bemerkte: »Ich glaube, dass hier
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