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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Zweck der Autobahn darin zu bestehen, eine Kette permanenter Baustellen miteinander zu verbinden. Lange Streckenabschnitte sind so schmal und kurvig, dass dort die erlaubte Höchstgeschwindigkeit gerade 40  Stundenkilometer beträgt. Der häufigen Staus wegen ist der Straßenrand mit Chemietoiletten gesäumt, die es verzweifelten Autofahrern ermöglichen, sich zu erleichtern. In Stoßzeiten stehen für den Notfall Krankenwagen bereit. 2002 sperrten Beamte in Catanzaro einen frisch modernisierten Streckenabschnitt, weil er so schäbig gebaut war, dass er eine akute Gefahr darstellte. Der Bischof von Salerno bezeichnete Europas schlechteste Autobahn als
Via Crucis
. Die
Salerno–Reggio Calabria
zeigt den italienischen Staat von seiner unfähigsten Seite.
    Seit den sechziger Jahren hat die ’Ndrangheta von all dem Durcheinander erheblich profitiert. Doch schon sehr früh in der Geschichte der
Salerno–Reggio Calabria
wurde es Polizeibeamten vor Ort klar, dass die ’Ndrangheta in diesem Fall nur eine Teilschuld traf. Ein hochrangiger Carabiniere, der in Reggio Calabria stationiert war, wurde 1970 von einer überregionalen Zeitung interviewt:
    »Sobald ein norditalienischer Unternehmer nach Kalabrien kommt, um ein Projekt in Angriff zu nehmen, sucht er als Erstes den zuständigen Mafiaboss auf. Er stattet ihm einen Höflichkeitsbesuch ab, als wäre er der Präfekt, erbittet seinen Schutz, vergibt im Gegenzug an einen Freund des
capomafia
den Nebenauftrag für die Erdarbeiten und beschäftigt Mafiosi als Wachleute auf seiner Baustelle.«
    Nichtkalabrische Bauunternehmer pflegten auch andere Gefälligkeiten anzubieten: Zeugenaussagen zugunsten von Mafiosi; Schweigen über die vielen Sprengstoffdiebstähle auf ihren Baustellen; Bankbürgschaften für ’Ndranghetisti, die sich auf Kredit Baumaschinen kaufen wollten. Die Unternehmer aus dem Norden würden die Arbeit dann nicht rechtzeitig beenden können und die Schuld für die Verzögerungen der örtlichen Mafia in die Schuhe schieben. Dank dieser Verzögerungen konnten die Unternehmer höhere Rechnungen stellen, Gelder, von denen wiederum die Mafia ihren Teil abbekäme. Entlang den kalabrischen Streckenabschnitten der
Salerno–Reggio Calabria
gewöhnte sich die ’Ndrangheta eine besonders zynische Art von Kapitalismus an.
    Das Bauwesen ist äußerst anfällig für die einfachsten Methoden der Mafia. Gebäude und Straßen müssen immer
irgendwo
gebaut werden. Und in jedem Irgendwo können Mafiosi, indem sie kurzerhand Maschinen kaputtschlagen oder Arbeitskräfte einschüchtern, die Bauunternehmen zwingen, sich mit ihnen an einen Verhandlungstisch zu setzen. Und tragen diese Verhandlungen Früchte, braucht ein Boss nicht sonderlich viel unternehmerischen Grips, um sich ein paar Kipper zu kaufen und eine Erdbewegungsfirma aufzubauen, die sich großzügig bereit erklärt, Nebenaufträge auszuführen, die an sie abgegeben werden. Leider haben es Mafiosi nicht schwer, Unternehmer von den Vorteilen zu überzeugen, die ihnen eine Freundschaft mit dem organisierten Verbrechen einbringen kann. Ein Unternehmer braucht nicht ausgesprochen geldgierig oder zynisch zu sein, um sich mit Mördern gemein zu machen. Es genügt, wenn er dazu neigt, sich über Vorschriften hinwegzusetzen, seine Arbeiter in bar zu bezahlen und die Bürokratie zu umgehen. Und sobald er anfängt, in der Grauzone zu agieren, an wen soll er sich wenden, wenn jemand seine Maschinen zertrümmert oder seine Bauarbeiter zusammenschlägt? Neben der Erleichterung, die er erfährt, wenn er handelseinig geworden ist mit den Verantwortlichen und der Ärger aufhört, verspürt er auch eine gewisse Genugtuung, wenn nun statt seiner ein Konkurrent leiden muss. Tatsache ist, dass für die Dienste der Mafias oft
Bedarf
besteht – ein Bedarf, den die Mafias in meisterhafter Weise zu wecken wissen.
    Sich mit Ellbogen den Weg ins Baugewerbe zu erzwingen, ist die direkte, zielgerichtete Methode. Doch Erfolg im Bauwesen kann auch ein Maßstab dafür sein, wie tief die Mafia bereits in die Eingeweide des Staates und des kapitalistischen Systems vorgedrungen ist. Dafür sorgen, dass übereifrige Polizisten versetzt werden, Richter bestechen, Stadtpläne auf Verlangen angleichen lassen, die Vergabe von öffentlichen Aufträgen manipulieren, Journalisten zum Schweigen bringen, mächtige politische Freunde gewinnen: All dies sind keine Betätigungen für simple Schläger, deren Handlungsspektrum sich darauf beschränkt, Zucker in

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