Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Entrüstung. Nicht einer von ihnen erwähnte die Mafia.
Nichtsdestoweniger zeigte der Sturm der Entrüstung, der dem Ciaculli-Massaker folgte, rasch Auswirkungen, sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Cosa Nostra. Der erste Mafiakrieg kam augenblicklich zum Stillstand angesichts einer massiven polizeilichen Ermittlung mit fast 2000 Verhaftungen. Die Cosa Nostra sah sich mit einer der schlimmsten Krisen in ihrer Geschichte konfrontiert. Wie ein Mafioso, der sich dem Staat als Kronzeuge zur Verfügung stellte, später erklärte: »Nach 1963 existierte die Cosa Nostra im Umkreis von Palermo nicht mehr. Sie war außer Gefecht gesetzt. Die Mafia stand kurz vor der Auflösung, schien gänzlich in Trümmern (…) Die Familien waren alle zerstört. Es gab kaum noch Morde. In Palermo zahlten die Leute nicht einmal mehr Schutzgeld.«
Mafiosi, denen sich die Chance bot, aus Palermo zu flüchten, ergriffen diese. Der Boss der Kommission, Salvatore Greco (»Kleiner Vogel« genannt), wanderte beispielsweise nach Venezuela aus. Andere flüchteten in die Schweiz, die USA , nach Kanada … Die Mafia verschwand aus ihrem Geburtsort, der Provinz Palermo.
Die Ciaculli-Bombe fegte auch den letzten Widerstand gegen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Bekämpfung der Mafia beiseite – endlich sollte es italienische
Kefauver hearings
geben. Doch wer erwartet hatte, dass die Untersuchung ähnlich spektakuläre Ergebnisse bringen würde wie jenseits des Atlantiks, der musste zunächst sehr lange warten und wurde dann herb enttäuscht. Das politische Gerangel schien sich während der Anhörungen allenfalls noch zu intensivieren. Erstaunlicherweise leugnete 1966 Donato Pafundi, der Senator, der bei den Befragungen den Vorsitz führte – politisch ein Christdemokrat und von Beruf Jurist –, die Existenz einer kriminellen Organisation namens Mafia und schob die Schuld an der Problematik gar den Muslimen zu:
»Die Mafia auf Sizilien ist eine Geisteshaltung, die alles und jeden durchdringt, auf allen Ebenen der Gesellschaft. Dafür gibt es historische, geographische und soziale Gründe. An erster Stelle steht ein Jahrtausend muslimischer Herrschaft. Es ist schwer, das Erbe von Jahrhunderten abzuschütteln. Die Mafia liegt den Sizilianern im Blut, ist fester Bestandteil der sizilianischen Gesellschaft.«
Angesichts solcher Meinungen überrascht es kaum, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss volle 13 Jahre brauchte, um seine Arbeit abzuschließen.
Auch fehlte es den italienischen Politikern im Unterschied zu Estes Kefauver und Robert Kennedy am rechten Gespür für den Umgang mit den Medien. Der Abschlussbericht der parlamentarischen Untersuchung umriss das Problem, so gut es ohne Insiderquellen eben möglich war. Er hatte freilich nichts von Kefauvers stark vereinfachender, medienwirksamer Vorstellung von einer umfassenden, zentral gesteuerten internationalen Verschwörung und auch nichts von Donato Pafundis Unwissenheit. Doch seine abstruse Formulierung war ein Indikator für die Schwierigkeiten des Ausschusses, die öffentliche Meinung einzubeziehen:
»Die Mafia hat sich kontinuierlich selbst angeboten als Organ autonomer Macht jenseits des Gesetzes und stets nach einer engen Verbindung mit allen Formen der Macht gesucht, insbesondere jener des Staates, um damit zu kollaborieren, sie für die eigenen Zwecke zu nutzen oder ihre Strukturen zu unterwandern.«
Wer noch bei Bewusstsein war, nachdem er sich durch mehrere Abschnitte solcher Prosa gequält hatte, der verdiente für sein Durchhaltevermögen einen Orden.
Wie vorherzusehen war, lehnte die parlamentarische Linke den Bericht ab und veröffentlichte eine eigene Version, die weit größeres Gewicht auf die Verbindungen der Mafia mit den höchsten Kreisen der sizilianischen Gesellschaft legte: »Die Mafia ist ein Phänomen der herrschenden Klasse.« Auf seine Weise war auch dies eine allzu starke Vereinfachung. Die sizilianische Mafia umfasste wie die Freimaurerbünde des 19 . Jahrhunderts, auf denen sie basierte, Mitglieder aus allen gesellschaftlichen Schichten: Sowohl Halsabschneider als auch Grafen konnten Ehrenmänner werden.
Was dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Bekämpfung der Mafia in den sechziger Jahren am meisten zum Vorwurf gereicht, ist die Tatsache, dass er weder die Camorra noch die ’Ndrangheta berücksichtigt. Dass die Problematik der organisierten Kriminalität außerhalb Siziliens unterschätzt wurde, sollte
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