Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
unselige Konsequenzen haben. Und diese unseligen Konsequenzen wurden kaum zwei Jahre nachdem die parlamentarische Untersuchung ihre Arbeit aufgenommen hatte, allmählich spürbar, als der erste Gesetzesentwurf verabschiedet wurde, der auf den Vorfall in Ciaculli reagierte. Gesetz 575 von 1965 war ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Mafia, das die Politik der »Zwangsumsiedlung« beinhaltete: Mutmaßliche Mafiosi konnten aufgefordert werden, ihre Heimat zu verlassen und sich andernorts in Italien niederzulassen. Die Zwangsumsiedlung basierte auf der höchst fragwürdigen Theorie, dass die wesentliche Ursache der Mafia im rückständigen gesellschaftlichen Umfeld im Westen Siziliens zu suchen sei. Könnten Mafiosi aus diesem Umfeld in gesündere Umgebungen verpflanzt werden, so die Meinung, würden ihre kriminellen Neigungen allmählich verkümmern.
Stattdessen breitete die Mafia sich immer weiter aus. Wie ein Ehrenmann später erklären würde: »Die Zwangsumsiedlung war für uns eine gute Sache, weil sie uns die Möglichkeit gab, neue Leute zu kontaktieren, andere Orte kennenzulernen, andere Städte, Gegenden, die noch nicht vom organisierten Verbrechen kontaminiert waren.«
Nicht nur die »nicht kontaminierten« Gegenden in Italien beherbergten umgesiedelte Mafiosi. Unfassbarerweise wurden einige von ihnen sogar ins Hinterland von Neapel geschickt. Trotz der furchterregenden Traditionen kriminellen Unternehmertums, wie sie während des Pupetta Maresca-Skandals ans Licht gekommen waren, galt die Bevölkerung Kampaniens mittlerweile als ausreichend gesund, um die Gangsterelite aus Sizilien zu bessern. Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre wurden einige der mächtigsten Kriminellen Siziliens rings um Neapel angesiedelt: Mafiosi vom Kaliber eines Francesco Paolo Bontate, Boss von Santa Maria di Gesù, und später auch dessen Sohn Stefano, ein künftiger Grundpfeiler der Palermer Kommission. Andere Mafiosi, auf der Flucht vor dem Gesetz, gesellten sich zu ihnen. Einer davon war Gerlando Alberti, der später eines witzigen Ausspruchs wegen berühmt wurde: Von einem Journalisten zur Mafia befragt, entgegnete er: »Was ist das? Eine Käsesorte?«
Mit den polizeilichen Maßnahmen nach der Ciaculli-Bombe und der Umsiedlungspolitik hatte Italien unfreiwillig eine neue Diaspora für kriminelle Talente geschaffen. Einer der bevorzugten Häfen dieser Diaspora wurde Neapel mit seiner prosperierenden Tabakschmuggelindustrie. Der Boden war bereitet für eine wichtige neue Interessengemeinschaft zwischen dem sizilianischen und dem kampanischen organisierten Verbrechen.
Die Mafia-isierung der Camorra
Michele Zaza,
’o Pazzo
(»der Irre«) genannt, war der Sohn eines Fischers aus Portici und in den siebziger Jahren zum maßgeblichsten Zigarettenschmuggler Neapels avanciert. Er besaß eine riesige Villa auf dem Posillipo, mit einem herrlichen Ausblick auf den Golf von Neapel –
La Glorietta
nannte er sie. Von einem lokalen Fernsehsender interviewt, witzelte er einmal, der Tabakschmuggel sei »die Fiat-Werke Süditaliens«. Was er damit meinte, war, dass er selbst genauso viele Arbeitsstellen schuf wie der Autogigant in Turin. Neapel konnte ebenso wenig ohne den Schmuggel überleben wie Turin ohne die Automobilindustrie. Die Bemerkung traf auf offene Ohren, sowohl in den Straßen in Neapels Zentrum als auch in den Gemeinden weit außerhalb der Stadt, wo man einst Sophia Lorens kessen Auftritt in
Gestern, heute und morgen
bewundert hatte. Wie zur Prohibitionszeit in den USA konnten sich Ganoven, die unter der Hand eine Ware verschoben, die eine Menge nichtkrimineller Abnehmer fand, ohne weiteres als die Guten gerieren.
»Der Irre« war aber keineswegs ein Robin Hood. Am 5 . April 1973 gehörte er einem Killerkommando an, das versuchte, Polizeichef Angelo Mangano zu töten, einen sizilianischen Gesetzeshüter, der sich im Kampf gegen die Mafia in Corleone hervorgetan hatte. (Mangano überlebte, obwohl ihn vier Schüsse getroffen hatten, sogar in den Kopf.) Warum sollte ein neapolitanischer Camorrista einen Feind der sizilianischen Mafia töten? Weil dieser Camorrista kurz zuvor in die Cosa Nostra aufgenommen worden war.
Zu Beginn der 1970 er Jahre waren die sizilianischen Mafiosi, die in Kampanien gelandet waren, mit einigen Camorristi eng befreundet. Polizei und Carabinieri berichteten von regelmäßigen Treffen zwischen neapolitanischen und sizilianischen Ganoven in Neapel. Die Sizilianer begeisterten sich
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