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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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einer Parkbucht stand.
    John Paul Getty wurde freigelassen. Doch die psychischen Folgen seines Martyriums waren groß. Er war zerbrechlich und noch sehr jung: Seinen 17 . Geburtstag hatte er in Gefangenschaft verbracht. Das Trauma hatte ihn vermutlich in eine Drogen- und Alkoholabhängigkeit gestürzt. 1983 erlitt er einen Schlaganfall, der zu seiner Erblindung und zu fast vollständiger Lähmung führte.
    Weder ließ sich absolut zweifelsfrei beweisen, dass Luciano Liggio die Getty-Entführung geplant hatte, noch wurde je einer der Drahtzieher überführt, abgesehen von einer Handvoll Schmalspurkrimineller – die Handlanger, nicht die Verantwortlichen. Doch eines steht fest: Getty war in den kalabrischen Bergen festgehalten worden, und seine Entführer waren Luciano Liggios Freunde in der ’Ndrangheta. Und nachdem Luciano Liggio von der Bildfläche verschwunden war (er war 1974 wieder gefangen genommen und nicht mehr freigelassen worden), zeigte die ’Ndrangheta, dass sie auch ohne ihn sehr lukrative Entführungsprojekte durchzuführen vermochte.
    Die Entführungen waren für die ’Ndrangheta weniger brisant als für die Cosa Nostra. Dennoch lenkte die neue Verbrechensindustrie die Aufmerksamkeit der Medien und der Polizei auf Kalabrien, was innerhalb der ’Ndrangheta zu Kontroversen führte. Offenbar hatte der mächtige ’Ntoni Macrì, der Tarantellatänzer aus Siderno, seine Befürchtungen, was Entführungen auf seinem Territorium betraf, kurz nach der Getty-Entführung den anderen Bossen mitgeteilt. Diese Befürchtungen vergrößerten noch die Rivalität zwischen den verschiedenen Lagern innerhalb der ’Ndrangheta, die versuchten, an das Colombo-Paket heranzukommen.
     
    Gangster aus Süditalien und Sizilien waren keineswegs die Einzigen, die von der Entführungswelle der siebziger und achtziger Jahre profitierten. Banditen von der Insel Sardinien zum Beispiel – die aktivsten operierten in der Toskana – hatten ihre eigene Entführungstradition und waren in den 1970 er Jahren besonders aktiv. Auch gewöhnliche Verbrecher lockte die Vorstellung, dass die Entführung von ein oder zwei Personen den Weg zum Reichtum erheblich verkürzen könnte. So wurde der Menschenraub zu einer kriminellen Manie, die Italiens ohnehin geschwächtes soziales Gefüge noch tiefer erschütterte.
    Luigi Ballinari, ein aus der Schweiz stammender Zigarettenschmuggler und Trinker, erinnerte sich an das Stimmengewirr, das 1974 im Gefängnis herrschte: »Unsere Gespräche kamen immer wieder auf das Verbrechen der Stunde zurück, das in Italien zur Mode geworden war: Leute entführen und Lösegeld erpressen. Davon träumten alle! Wir phantasierten, organisierten und analysierten die Fehler der anderen Kidnapper.«
    Kaum war Ballinari wieder auf freiem Fuß, beteiligte er sich an einer der grausamsten Entführungen der damaligen Zeit. Cristina Mazzotti, die 19 -jährige Tochter eines Unternehmers aus der Gegend von Como, nahe der Schweizer Grenze, wurde am 26 . Juni 1975 entführt. Ihre Geiselnehmer entkleideten sie, verbanden ihr die Augen, fesselten sie, verpassten ihr Ohrenstöpsel und sperrten sie in einen winzigen Raum unter der Garage. Dort flößte man ihr über zwei Wochen lang in Fruchtsaft aufgelöste Schlaftabletten ein, während ihre Kidnapper mit den Eltern verhandelten. Wie viele Entführer in Nord- und Mittelitalien hatten sie geplant, ihre Geisel an die eigentlichen Kidnapping-Spezialisten weiterzuverkaufen, die ’Ndrangheta. Doch in diesem Fall versagte Cristinas Körper unter dem ständigen massiven Einfluss der Medikamente langsam den Dienst. Anstatt sie also zu verschachern und in ein neues Gefängnis auf dem Aspromonte zu verfrachten, legte man sie in den Kofferraum eines Wagens und begrub sie in einer Müllhalde. Ihre Eltern, nicht ahnend, dass sie bereits tot war, zahlten ein Lösegeld von 1 , 05  Milliarden Lire ( 5 , 2  Millionen Euro nach heutigem Wert).
    Später wurde Ballinari bei dem Versuch erwischt, einen Teil des Lösegelds zu waschen. Als er schließlich im Verhör einknickte und die ganze Geschichte erzählte, war Cristinas Leiche so verwest, dass sich kaum noch feststellen ließ, ob das Mädchen tatsächlich bereits tot gewesen war, als man es begraben hatte.
    Die Schrecken der Entführungsindustrie waren ohne Zahl. Besonders schlecht erging es den Geiseln auf dem Aspromonte. Sie wurden gefesselt und von Küchenabfällen ernährt, durften sich weder waschen noch ihre Kleidung wechseln. In

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