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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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noch viel mehr Unfrieden stiften.
    Nach der Entführung Pino Vassallos wagten sich die Corleoneser weiterhin an Unternehmungen, die nicht autorisiert waren – beispielsweise die Entführung Luciano Cassinas im August 1972 . Er war der Sohn des Unternehmers, der für die Instandhaltung der Kanalisation und der Straßen der Hauptstadt verantwortlich war, was ihn zum größten Steuerzahler Palermos machte. Kurioserweise war der Mann, der sich den Cassinas als »Freund« zur Verfügung stellte und mit den Entführern verhandelte, der Priester Agostino Coppola, ein Neffe von Frank »Dreifinger« Coppola und mit Luciano Liggios Verbündeten in der Partinico-Familie der Cosa Nostra befreundet. Diesmal behielten die Corleoneser die Einkünfte aus ihrer Eskapade für sich.
    Aus Mafiasicht ließ sich das Verhalten der Corleoneser kaum rechtfertigen. Obwohl sie Unschuld heuchelten, wenn sie mit anderen Mafiosi über die Ereignisse sprachen, war dennoch klar, dass sie – willentlich und unverfroren – die Autorität ihrer Rivalen in Frage stellten. 1972 saßen die übrigen Mitglieder des Triumvirats, Tano Badalamenti und Stefano Bontate, beide zeitweise im Gefängnis und waren deshalb weniger in der Lage, auf die Provokation zu reagieren. Und selbst wenn sie gegen die Corleoneser hätten vorgehen wollen, hätten sie sie vermutlich nicht gefunden. Luciano Liggio war seit dem Sommer 1969 wieder auf der Flucht. Seine beiden Leutnants, »der Kurze« Riina und »der Traktor« Provenzano, waren seit 1969 beziehungsweise 1963 untergetaucht.
    Die Jahre 1974 und 1975 waren für die Cosa Nostra politisch bedeutsam. 1974 , nach Stefano Bontates Entlassung aus dem Gefängnis, wurde das Triumvirat, das seit 1969 in der Provinz Palermo die Organisation geleitet hatte, von einer Kommission ersetzt, die hauptsächlich aus Bontate-Verbündeten bestand; Tano Badalamenti hatte als Provinzrepräsentant den Vorsitz. Im Februar 1975 beherbergte eine Villa inmitten der Landschaft Zentralsiziliens unweit der stolzen Stadt Enna die erste Versammlung eines völlig neuen Gremiums: der »Interprovinzialkommission« oder auch »Region«. Die »Region« umfasste sechs Bosse, die Repräsentanten der sechs Provinzen Siziliens mit der höchsten Mafiadichte: Palermo, Trapani, Agrigent, Caltanissetta, Enna und Catania. Die Mafiakommissionen dieser sechs Provinzen stellten je einen Delegierten für ein Komitee, das auf der gesamten Insel die Verbrechen der Mafia koordinierte. Die Autorität dieser Interprovinzialkommission war allerdings relativ begrenzt, was allein daran zu spüren war, dass derjenige, der bei den Tagungen den Vorsitz innehatte, »Sekretär« genannt wurde, nicht
capo
.
    Der strategische Kopf hinter der »Region« war Pippo Calderone, dessen jüngerer Bruder Antonio später Kronzeuge werden und uns kostbare Einblicke in diese bemerkenswerte Phase der Mafiageschichte liefern sollte. Pippo Calderone, ein Geschäftsmann und Ehrenmann aus der ostsizilianischen Stadt Catania, machte sich sogar die Mühe, eine neue Verfassung für das Gremium zu entwerfen. Der wichtigste Artikel in dieser Verfassung und der erste Punkt auf der Tagesordnung bei der ersten Zusammenkunft der »Region« war ein inselweites Entführungsverbot – bei Todesstrafe. Die Gründe für das Verbot leuchteten ein. Entführungen mochten kurzfristig zwar lukrativ sein, machten die Mafia aber bei der Zivilbevölkerung unbeliebt. Obendrein führten sie zu Repressalien seitens der Polizei – Straßensperren und dergleichen –, die besonders jenen Mafiosi das Leben erschwerten, die auf der Flucht waren. Eine solche diplomatische Maßnahme ließ sich schwer ablehnen, und so gingen auf dem ersten Treffen der »Region« sechs Hände brav nach oben, um sie zu bewilligen. Jedoch, wie immer bei Angelegenheiten der Mafia, war das Entführungsembargo nicht nur ein praktischer Beschluss, sondern auch ein taktischer, zumal er gegen die Corleoneser gemünzt war, um sie innerhalb der Cosa Nostra zu isolieren. Liggio, Riina und Provenzano hatten verstanden.
    Am 17 . Juli 1975 – nur wenige Monate nach diesem ersten Treffen der »Region« – fuhr ein kleiner alter Mann in einem Alfa Romeo 2000 durch die glühende Hitze eines sizilianischen Sommernachmittags. Sein Ziel war die Stadt Salemi, die sich auf einem Hügel in der Provinz Trapani um eine normannische Festung drängte. Doch er kam niemals dort an. Neben einer Zapfsäule außerhalb der Stadt war die Straße vor ihm von zehn schwer

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