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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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abgehörten Telefonaten bezeichneten ihre Entführer sie in kodierter Sprache als »Schweine«. Am längsten festgehalten wurde ein Teenager namens Carlo Celadon aus der Gegend von Vicenza, der 1988 aus seinem Elternhaus entführt worden war. Carlo musste unvorstellbare 828  Tage in einer rattenverseuchten Höhle ausharren, die mit seinen Exkrementen besudelt war. Er wurde mit drei Ketten um den Hals gefesselt, unablässig bedroht und geschlagen, sobald er weinte oder gar betete. Als er freigelassen wurde, sagte sein Vater, er habe ausgesehen wie der Insasse eines Konzentrationslagers der Nazis. Carlos Kommentar zu seinen Qualen war entsetzlich: »Ich flehte meine Entführer an, mir ein Ohr abzuschneiden. Ich war vollkommen vernichtet, hatte jede Hoffnung verloren.«
    Zwischen 1969 und 1988 verschwanden in Italien insgesamt 71  Menschen und wurden nie mehr lebend gesehen; in ungefähr der Hälfte dieser Fälle war ein Lösegeld gezahlt worden. 1981 wurde Giovanni Palombini, ein 80 -jähriger Kaffeehändler, von einer römischen Bande gekidnappt, die vermutlich die Absicht hatte, ihn an die ’Ndrangheta zu verschachern. Er konnte fliehen, war aber so desorientiert, dass er an die Tür eines Hauses klopfte, das sich prompt als das Versteck der Entführer erwies. Sie gaben ihm ein Glas Champagner zu trinken und brachten ihn um. Seine Leiche wurde in einer Gefriertruhe aufbewahrt, damit sie für die Fotos herausgeholt werden konnte, die seiner Familie beweisen sollten, dass er noch am Leben war.
    Auch Kinder wurden nicht verschont: Insgesamt wurden 22 gekidnappt, einige davon noch sehr klein. Marco Fiora war erst sieben Jahre alt, als ’Ndranghetisti ihn im März 1987 in Turin entführten. Seine Qualen dauerten eineinhalb Jahre, in denen er angekettet wie ein Hund in einem Versteck auf dem Aspromonte ausharren musste. Seine Entführer redeten ihm ein, dass seine Eltern ihn nicht genügend liebten, um Lösegeld für ihn zu zahlen. In Wirklichkeit war die lange Verzögerung auf den Umstand zurückzuführen, dass die Spitzel der ’Ndrangheta den Reichtum von Marcos Vater bei weitem überschätzt hatten und die Kidnapper ihm nicht glauben wollten, als er beteuerte, er könne das Lösegeld nicht aufbringen. Marco war zum Skelett abgemagert, als er bei Ciminà freigelassen wurde, und seine Beine so verkümmert, dass er kaum laufen konnte. Er klopfte an einige Türen, aber die Bewohner wollten nicht öffnen. Also setzte er sich einfach an den Straßenrand, bis zufällig ein Streifenwagen der Carabinieri vorbeifuhr. Seine ersten Worte an seine Mutter waren: »Du bist nicht meine Mama. Geh weg. Ich will dich nicht sehen.«
    Einigen Kindern erging es sogar noch schlechter. Die elfjährige Marzia Savio wurde im Januar 1982 am Ufer des Gardasees entführt. Ihr Kidnapper war kein Gangster, wie sich herausstellte, sondern nur der Metzger vor Ort, der einen bequemen Weg gefunden zu haben glaubte, schnell zu Geld zu kommen. Er erstickte Marzia, wahrscheinlich beim Versuch, sie zu fesseln, und warf ihre zerstückelte Leiche von einem Viadukt.
    Entführungen waren so sehr an der Tagesordnung, dass sie in den Medien die immer gleichen Routinen auslösten: Die Angehörigen der Opfer gaben verängstigte Pressekonferenzen, oder sie mieden das Licht der Öffentlichkeit, um auf keinen Fall diejenigen zu provozieren, die ihren Vater, ihren Sohn oder ihre Tochter in der Gewalt hatten. Dann das lange, bange Warten, bis die Kidnapper ihre Lösegeldforderungen stellten. Dann die Spaßanrufe seitens makabrer Scherzbolde.
    Menschenraub ist ein Verbrechen, das Misstrauen sät. Viele Familien hegten zu Recht den Verdacht, dass Freunde und Arbeitnehmer Informationen an die Kriminellen hatten durchsickern lassen. Verlässliche Kommunikationswege und Mittelsmänner zu finden, war oftmals eine nervenaufreibende Angelegenheit. Die Angehörigen des jungen Carlo Celadon, jenes Jungen, der eine Rekordzeit von 828  Tagen festgehalten worden war, erklärten, dass der Anwalt, den sie mit dem Transport des Lösegelds beauftragt hätten, einen Teil davon in die eigene Tasche gesteckt habe. (Er wurde verurteilt, ging in Berufung und kam frei.) Die ’Ndrangheta schien manchmal mehr über die Einkommensverhältnisse ihrer Geiseln zu wissen als die Steuerbehörde. Aus diesem Grund tendierten die Medien dazu, die Finanzen selbst der ehrlichsten Opfer in Zweifel zu ziehen. Die Angehörigen der Geiseln wurden oftmals davor gewarnt, sich an die Polizei zu wenden. Und

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