Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Fahrkartenschaffners bei der Palermer Straßenbahn, wurde sanft in die psychologischen Härten eines Lebens als Profikiller eingeführt. Als neues Mitglied der Cosa Nostra durfte er schon bald einen ersten Blick in die Folterkammer der Mafia werfen. Dort erteilte man ihm praktischen Anschauungsunterricht in der Technik des Garrottierens. Als aus Nase und Ohren des Opfers Blut quoll, ehe es starb, würgte es ihn. Als Nächstes lernte Mutolo, wie man eine Leiche verschnürte, damit sie in den Kofferraum passte, und wie man sie fachgerecht begrub, nämlich mit ungelöschtem Kalk (damit sie sich schnell zersetzte und selbst mit forensischer Technik nicht mehr zu identifizieren war) und Kunstdünger (damit die Stelle bald überwuchert war). Man zeigte ihm sogar, wie eine Leiche aussieht, die zwei oder drei Monate in einer dieser speziell aufbereiteten Gruben gelegen hat.
Dieser Abhärtungsprozess zahlte sich aus, als Mutolo mit ruhiger Hand seinen ersten Solomord beging, indem er einem abtrünnigen Ehrenmann während eines sorgfältig inszenierten Raubüberfalls die Kehle durchschnitt. Das Töten wurde ihm bald zur Routine, wie Generationen von Mafiosi vor ihm.
»Ich hatte niemals Angst im Vorfeld. Man muss nur überzeugt sein von seinem Plan. Manchmal war ich am Abend davor nachdenklicher und überlegte, wie leicht es doch ist, zu töten und getötet zu werden … Gelegentlich verspürte ich ein seltsames Bedauern, vor allem, wenn ich junge Leute umbringen musste, deren Familien ich womöglich kannte.«
Mutolo absolvierte anschließend im Schnellverfahren eine Lehre, die ihn in sämtliche maßgeblichen kriminellen Geschäfte einführte, die Italiens Mafias seit den fünfziger Jahren verändert hatten: Sie hatten sie reich gemacht, ihren geographischen Horizont erweitert, sie miteinander in Verbindung gebracht und ihre Kontakte zu Politikern gefestigt. In Neapel schmuggelte Mutolo zunächst Drogen mit Camorristi. Dann schickte man ihn in die reiche Lombardei, wo er Informationen über potentielle Entführungsopfer sammeln sollte. Wieder daheim in Palermo, lernte Mutolo, wie sich mit öffentlichen Bauprojekten Geld machen ließ.
»Man braucht lediglich gute Kontakte zu einigen Verwaltungsbeamten vor Ort. Immer wenn die sizilianische Regierung eine Ausschreibung macht, übernehmen Mittelsmänner der Cosa Nostra die Verhandlungen. Auf diese Weise ergattern Geisterfirmen die Aufträge und leiten sie an die Mafiagruppe weiter, die sich hinter ihnen verbirgt. Damit Sie eine Vorstellung von den Einnahmen erhalten: Wenn ein Auftrag eine Milliarde Lire (heute etwa 1 , 65 Millionen Euro) wert ist, gehen davon zehn Prozent an den Politiker, der den Wettbewerb verhindert und dafür sorgt, dass der Auftrag an die richtigen Leute vergeben wird, und der Rest geht an einen Mafioso, der auf diese Weise sein Vermögen in einem Jahr verdoppeln kann.«
Mutolo erwies sich als gehorsamer Handlanger für seinen Boss, Saro Riccobono aus der Partanna-Mondello-Familie. Alles lief wie geschmiert in dieser guten, wenn auch nicht außergewöhnlichen Mafiakarriere.
1975 tat sich plötzlich ein neues Geschäftsfeld auf, eines, das der Mafia mehr Vermögen einbringen würde als der Tabakschmuggel, die Entführungen und das Bauwesen zusammen. Mutolo erinnert sich an ein Treffen, bei dem er sich mit anderen Ehrenmännern über die üblichen Schutzgelderpressungen unterhielt, als Tano Badalamenti hereingeplatzt kam. »Meine Herren, mit Drogen haben wir die Chance, zehnmal mehr Geld zu machen.« Badalamenti, Oberhaupt der Palermer Kommission, mit guten Kontakten in den USA , hatte die Marktlücke entdeckt, die Präsident Nixon mit seiner Anti-Drogen-Kampagne geschaffen hatte, und war der geeignete Mann, sie zu nutzen.
Zu Beginn wickelte die Cosa Nostra ihr Heroingeschäft über dieselben Kanäle ab, die sie für den Zigarettenschmuggel nutzte. Der Stoff reiste in denselben Behältern wie die »Blondinen«. Palermer Familien investierten gemeinsam, wie sie es bereits für größere Zigarettenlieferungen getan hatten. Die Zahlungen wurden über dieselben Schweizer Konten getätigt, über die das Geld an die Tabakmultis floss. Wie Mutolo spöttisch bemerkte: »Wenn es bei dieser Geschichte Schurken gibt, dann sind es die Schweizer.« Tano Badalamenti reiste persönlich ein erstes Mal in die Türkei, um sich dort mit Lieferanten zu treffen. Der Plan ging auf. Innerhalb von 40 Tagen hatten sämtliche Investoren ihren Einsatz verdreifacht. Der
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