Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Leberzirrhose raffte ihn 1979 in einem Gefängniskrankenhaus dahin. Er hinterließ einen Clan, der mächtiger war als jeder andere in Kalabrien. Noch bis zum heutigen Tag sind die Piromallis eine bedeutende Macht, wie übrigens auch ihre Verbündeten im ersten ’Ndrangheta-Krieg, die Familie De Stefano.
Ende der siebziger Jahre war die
Mamma Santissima
überholt. Wie ein abtrünniger ’Ndranghetista erklärte, wuchs die Anzahl der
santisti
so schnell, dass es bald der Einführung neuer
fiori
bedurfte:
»Einige Jahre nach Erfindung der Santa wurde der Rang eines
santista
ein wenig inflationär verliehen. Bald gab es nicht mehr nur die vorgesehenen 33
santisti
: Um alle zufriedenzustellen, die diesen Rang anstrebten, wurden mehr
santisti
zugelassen. 1978 / 80 wurde daher ein neues Amt ins Leben gerufen, der
Vangelo
(das Evangelium). Ich wurde zwischen 1978 und 1980 im Fossombrone-Gefängnis mit dem Rang eines
vangelista
(Evangelist) belohnt.
Praktisch gesehen wurde der
Vangelo
auf eine geringere Anzahl von Leuten beschränkt als die Santa, die weit mehr Personen umfasste als die anfänglichen 33 . Doch dann geschah dasselbe mit der Einführung des
Trequartista
(›Dreiviertelist‹) und des
Quintino
(›Fünftelist‹).«
Und so wurde weiter an den traditionellen Regeln der ’Ndrangheta gezupft und gezerrt, um sie den Bedürfnissen der Stunde anzupassen. Nichts in der Welt der Mafia ist so sehr Tradition wie dies. Traditionen tragen dazu bei, die Mafias zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Doch sie können auch Konflikte entfachen. Der erste ’Ndrangheta-Krieg war nur die Generalprobe für den Konflikt, der folgen sollte, sobald die Drogen ins Spiel kamen und den Mafias zu beispiellosem Reichtum verhalfen.
Eine kurze Geschichte des Rauschgifts
»Aber ein Neues ersann die liebliche Tochter Kronions:
Siehe sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis.
Kostet einer des Weins, mit dieser Würze gemischet,
Dann benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen,
Wär’ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben,
Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebter Sohn auch
Mit dem Schwerte getötet, dass seine Augen es sähen.«
Homer,
Odyssee
IV
, 220 – 226 (dt. J. H. Voß, bearb. von E. Gottwein)
Das Opium ist eine sehr alte orientalische Droge, die die abendländische Zivilisation seit den alten Griechen gleichermaßen erschreckt und betört. Die Droge Nepenthes, die Helena in Homers
Odyssee
verabreicht, ist vermutlich Opium.
Heroin dagegen ist ein Kind des modernen, globalen Kapitalismus; der Name des Produkts wurde zunächst von dem deutschen Pharmaunternehmen Bayer am Ende des 19 . Jahrhunderts geprägt. Was Bayer auf den Markt zu bringen glaubte, war eine neue, sichere Version des Opiumderivats Morphin – eine, die nicht dieselbe Suchtgefahr barg. Was sie tatsächlich verkauften, machte noch abhängiger als Morphin. Doch es war so beruhigend verpackt und von Ärzten so gründlich gutgeheißen, dass es über ein Jahrzehnt lang sogar im Hustensaft für Kinder enthalten war. Kein Wunder, dass die USA am Ausgang des Ersten Weltkrieges über 200 000 Heroinsüchtige zählen sollten.
In China war das Problem der Opiatabhängigkeit mindestens um ein Jahrhundert älter. Als das Heroin erfunden wurde, rauchten Millionen von Chinesen regelmäßig Opium. Im 19 . Jahrhundert hatten britische Kaufleute das Opium von Indien ins Kaiserreich China gebracht. Auf Geheiß dieser Kaufleute führte die britische Regierung zwei Kriege, um China zu zwingen, den freien Handel mit Drogen zu akzeptieren, der Löcher in sein soziales Gefüge riss. Die
Cambridge History of China
bezeichnet die britischen Opiumgeschäfte als das »am längsten begangene und am systematischsten geplante internationale Verbrechen der Moderne«.
1912 unterzeichneten die USA , China und Großbritannien das erste internationale Abkommen mit dem Ziel, die Herstellung und Verteilung von Rauschgift zu kontrollieren; 1919 wurden diese Bestimmungen in den Versailler Vertrag aufgenommen, der am Ende des Ersten Weltkrieges den Frieden besiegelte. Eine neue Ära der Drogenkontrolle war weltweit angebrochen. Von nun an wären die Hauptlieferanten und -vertreiber von Heroin und anderen Rauschmitteln nicht mehr die Pharmaunternehmen, Kaufleute und Regierungen (zumindest nicht offen), sondern kriminelle Syndikate.
Die sizilianische Mafia gehörte zu den frühesten Akteuren im weltweit
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