Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Heroinrausch der Cosa Nostra hatte begonnen.
Mafiosi stürzten sich Hals über Kopf in die Fluten des weißen Pulvers, wobei sie ihre alten Vernetzungs- und Bestechungstechniken zur Anwendung brachten und sich rasch lukrative neue Fertigkeiten aneigneten. Nunzio La Mattina, ein Ehrenmann aus der Porta-Nuova-Familie, unterzog sich einer Umschulung, die Erinnerungen wachrief. Während er seine Chemiekenntnisse einst genutzt hatte, um die exakte Zusammensetzung von Siziliens Zitronensaft zu prüfen, wurde er jetzt ein Heroinkoch im großen Stil. Andere Mafiosi nahmen bei Korsen Unterricht, die aus Marseille geholt wurden. Einer davon war Francesco Marino Mannoia aus der Familie Santa Maria di Gesù. Sobald eine größere Menge Morphium eintraf, verbrachte Marino Mannoia eine Woche am Stück in den ätzenden Dämpfen eines der vielen Labors, die überall auf der Insel entstanden waren. Wenn er wieder auftauchte, war seine Haut schuppig und seine Lunge entschlackt. Sein Spitzname war »Mozzarella«, weil er so schlicht und unauffällig war und im Restaurant immer Mozzarellakäse und Tomatensalat bestellte, das einfachste und unverfänglichste Gericht auf der Karte. Seine persönlichen Gewohnheiten änderten sich auch dann nicht, als er zum bedeutendsten Chemiker der Cosa Nostra aufgestiegen und als solcher märchenhaft reich geworden war.
Gaspare Mutolo spezialisierte sich anderweitig: Er betätigte sich als Zwischenhändler, kontaktierte die Großhändler im Nahen und Fernen Osten, brachte die Ware nach Sizilien und verkaufte sie weiter an Händler innerhalb der Cosa Nostra, die Verbindungen nach Amerika hatten. Als führender Heroinzwischenhändler hatte Mutolo einen verlässlichen Einblick in die organisatorische und wirtschaftliche Struktur des Drogenhandels der Mafia. Aus dieser Karte wird ersichtlich, dass die Cosa Nostra nicht
en bloc
in das Heroingeschäft einstieg. Ebenso wenig machte sie der Heroinboom der späten siebziger Jahre zu einem hierarchischen Rauschgiftkonzern. Sie blieb, was sie immer gewesen war: ein krimineller Geheimbund. Jedes einzelne Mitglied, jeder kleinere Freundesklüngel, jede Familie und jedes Koordinationsgremium, wie die Palermer Kommission, fand seinen Platz. Wie Mutolo später erklären würde:
»Was den Drogenhandel betrifft, so können kleinere Deals von einer Familie bewerkstelligt werden. Jeder ist selbständig und tut, was er will. Doch manchmal zieht einer einen riesigen Auftrag an Land, der sich womöglich mit der Arbeit anderer Mafiosi oder mit dem, was eine gesamte Organisation tut, überschneidet. Einige große Deals können den ganzen Markt vereinnahmen. In solchen Fällen mischt sich vermutlich die Kommission ein. Deren Mitglieder übernehmen dann die Organisation. Die Kommission schreitet also in allen wichtigen Bereichen ein.«
Eine Art Binnenmarkt entwickelte sich unter den Ehrenmännern. Einige Großhändler verkauften Morphinsendungen an Heroinköche, die sie aus der Bruderschaft kannten. Sobald das Morphin zu Heroin veredelt war, kauften sie es zurück. Oft handelten die Bosse nicht direkt mit dem Heroin, sondern machten es sich bequem und »besteuerten« die Dealer, die sie kannten: ein weitaus ungefährlicherer Weg, um Geld zu verdienen.
1976 , als sein Heroingeschäft gerade im Aufschwung begriffen war, wurde Mutolo verhaftet; der Gefängnisaufenthalt war seiner kriminellen Karriere jedoch äußerst zuträglich. »Gott segne diese Gefängnisse!«, rief er später aus. Mutolos Zellengenosse im mittelitalienischen Sulmona war nämlich ein langhaariger chinesischer Heroinhändler namens Ko Bah Kin aus Singapur. Obwohl keiner der Sprache des anderen mächtig war, fasste Mutolo eine Zuneigung zu Kin. Bei gemeinsamen Mahlzeiten und durch kleine Gesten der Großzügigkeit entwickelten sie allmählich das Wertvollste in der trügerischen Welt des internationalen Rauschgifthandels: Vertrauen. Als Kin genügend Italienisch gelernt hatte, um über Geschäfte zu reden, sagte er zu Mutolo: »Gaspare, versprich mir eins: Ruf mich an, sobald du draußen bist. Ich verschaff dir alle Drogen, die du brauchst.« 1979 , kurz vor Kins Freilassung, schenkte Mutolo ihm seine goldene Uhr und seinen Schmuck, damit er sich in Rom ein Zimmer nehmen und den Flug nach Thailand bezahlen konnte, um seine Lieferanten zu kontaktieren. Kin revanchierte sich, indem er Mutolo eine Postfachadresse in Bangkok nannte.
Bald darauf, 1981 , erhielt Mutolo Freigang. Er sollte wieder in die legale
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