Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
sizilianische Mafia-Blutlinien, die über mehrere Generationen zu einem mächtigen unternehmerischen Netzwerk zusammengewachsen waren. Zwei Mitglieder dieses Clans, Pasquale und Liborio Cuntrera, waren 1951 nach Kanada ausgewandert – ungefähr zur selben Zeit, als Paolo Violi dort angekommen war. Nach der Ciaculli-Bombe von 1963 zogen weitere Mitglieder des Cuntrera-Caruana-Clans in die sizilianische Mafiadiaspora. Doch anstatt sich dauerhaft an einem Ort niederzulassen, betätigten sich die Neuankömmlinge als umherziehende Heroinschmuggler, bildeten ein flexibles internationales Netzwerk, das in rauen Mengen Heroin finanzierte, beschaffte und verschiffte und das eingenommene Geld dann legal investierte. In den nachfolgenden Jahren fand man ihre Spuren in Kanada, den USA , in Mexiko, Brasilien, Honduras, auf den Bahamas, in Antigua, dem karibischen Steuerparadies Aruba, in Indien, Deutschland, der Schweiz – und in Woking, Surrey. Venezuela war die Heimat des Clans, ein ausländischer Heroinumschlagplatz für den US -amerikanischen Markt. Hier besaßen die Cuntrera-Caruanas eine weitläufige Ranch für Rinderzucht unweit der kolumbianischen Grenze, mit privatem Flugplatz. Als der Sohn Pasquale Cuntreras heiratete, wurde das Ereignis im Fernsehen übertragen, und der Präsident Venezuelas war einer der Trauzeugen.
Der Mafioso Giuseppe Cuffaro, der mit Paolo Violi in der Eisbar diskutiert hatte, war ein Handelsvertreter der Cuntrera-Caruana-Gruppe. Aus diesem Grund forderte er für Abgesandte der Mafia freien Zugang zum kanadischen Markt.
Das Netzwerk der Cuntrera-Caruanas bestand hauptsächlich aus einigen schlauen, mobilen Mafiosi mit guten Verbindungen, deren spektakulärer Reichtum es ihnen erlaubte, überall auf der Welt Freunde zu gewinnen. Die Cuntrera-Caruanas und die übrigen umherziehenden Heroinhändler wurden als autonome Mafia bezeichnet. Sie bildeten, was wir ein Transatlantisches Syndikat nennen würden, dessen Macht sich den Hoheitsgebieten der sizilianischen und amerikanischen Cosa Nostra gefährlich entzog. Solche Männer konnten lokalen Bossen wie Violi überall, wo sie Handels- oder Investitionsmöglichkeiten entdeckten, ihre Bedingungen aufzwingen. Die Loyalität der Soldaten gegenüber ihrem Hauptmann oder Boss ließ sich ohne weiteres erkaufen. So kam es, dass Paolo Violi am 22 . Januar 1978 den Preis zahlte für seine pedantische, protektionistische Auslegung der Mafiaregeln: Er wurde erschossen, während er in seiner Bar Karten spielte.
Nicht nur in Kanada registrierten Abhörwanzen, wie das Transatlantische Syndikat Ende der siebziger Jahre das Kräftegleichgewicht innerhalb der Mafia empfindlich störte. In einer zu Recht berühmten verdeckten Operation unterwanderte FBI Special Agent Joseph D. Pistone die New Yorker Bonanno-Familie, indem er sich als »Donnie Brasco« ausgab. Der denkwürdige Kinofilm von 1997 über Pistones Geschichte, mit Johnny Depp und Al Pacino, vermochte nicht den entscheidenden geschichtlichen Zusammenhang der Operation zu erfassen. Pistone/Brasco erlebte als Augenzeuge den Aufstieg der sogenannten
zips
(Reißverschlüsse) oder
greasers
(Männer, die sich Pomade ins Haar schmieren). So bezeichneten einheimische Mafiosi abfällig die sizilianischen Ehrenmänner, die vor kurzem in Amerika Fuß gefasst hatten. Es gab zwei Gründe, warum New Yorker Mafiosi die Neuankömmlinge mit Argusaugen betrachteten. Erstens hatte man den
zips
das Exklusivrecht garantiert, für die New Yorker Familien Bonanno und Gambino die Heroingeschäfte zu tätigen. Zweitens bildeten sie eine autonome Gruppe, deren Macht innerhalb der amerikanischen Cosa Nostra immer größer wurde. Diese
zips
waren tatsächlich Mitglieder des Transatlantischen Syndikats. Pistones Abhörgerät am Körper registrierte die Reaktion zweier New Yorker Bosse auf die Nachricht, dass die Sizilianer innerhalb der amerikanischen Organisation Ränge innehaben sollten:
»Diese Typen [die
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] raffen alles an sich. Wir dürfen sie auf keinen Fall befördern. Wir würden unsere gesamte Stärke verlieren.«
»Diese verfluchten
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decken keinen. Du gibst ihnen die verfluchte Macht, und hast das Nachsehen, wenn nicht gleich, dann in drei Jahren. Die bringen dich ins Grab. Du kannst ihnen nicht die Macht geben. Die scheißen doch drauf. Denen ist egal, wer hier der Boss ist. Die kennen keinen Respekt.«
Diese
zips
hatten Namen und Gesichter. Einer hieß John Gambino: Er war 1964 aus Palermo nach Cherry Hills,
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