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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Sicilia
jeweils einen anonymen Telefonanruf erhalten, der angeblich aus einer Terrorzelle kam. Die Anrufe waren falsch und sollten die Ermittler in die Irre führen. Doch die Parallele zwischen der sizilianischen Mafia und den Roten Brigaden war so abwegig nicht. Beide Gruppen töteten Journalisten, Politiker, Anwälte, Polizisten und Richter. Beide maßten sich an, über dem Gesetz zu stehen. Beide glaubten, der italienische Staat sei so schwach und diskreditiert, dass er ohne weiteres zur Kapitulation gezwungen werden könne. Man gebrauchte Gewalt, weil Gewalt funktionierte – mittlerweile war sie in Italien an der Tagesordnung. Und man konnte getrost darauf zählen, dass das italienische Volk tatenlos zusehen würde, wie sein Land zugrunde ging.
    Doch in einigen Morden von 1979 waren auch Zeichen des Widerstands gegen die Bedrohung durch die Mafia erkennbar. Die Cosa Nostra ließ Menschen ermorden, die sie fürchtete.
    Der Journalist Mario Francese pflegte den Dingen unerbittlich auf den Grund zu gehen. Er war einer der wenigen Journalisten, die die wachsende Bedrohung durch Riina und seine Corleoneser erahnten; er hatte es sogar gewagt, Riinas Frau zu interviewen.
    Giorgio Ambrosoli hatte herausgefunden, dass Michele Sindona die Gewinne aus dem Heroinhandel mit Amerika gewaschen hatte.
    Boris Giuliano war ein geborener Polizist, der einige Heroinküchen der Cosa Nostra aufgespürt hatte. Er wusste auch, wie sich das Geld der Mafia verfolgen ließ, und die Geldspur hatte ihn, in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Drogenvollzugsbehörde DEA (
Drug Enforcement Administration
), zu einer klaren Schlussfolgerung gebracht: »Die Mafiaorganisationen in Palermo sind mittlerweile Dreh- und Angelpunkt des Heroinschmuggels, das Clearinghaus für die Vereinigten Staaten.«
    Richter Terranova hatte infolge der Ciaculli-Bombe in den 1960 er Jahren die Mafia im großen Stil verfolgt. 1974 verurteilte er Luciano Liggio, den Boss der Corleoneser, zu einem Leben hinter Gittern. Nachdem er mehrere Jahre als Parteiloser im Parlament gesessen hatte, unter dem Flügel der Kommunisten, war er vor kurzem nach Palermo zurückgekehrt, in den juristischen Schützengraben der Mafiabekämpfung, als die Cosa Nostra den Entschluss fasste, ihn zu töten.
    Der Tod des Christdemokraten Michele Reina war damals weitaus schwieriger zu deuten. Nur wer der Mafia nahestand, konnte die Bedeutung des Mordes entziffern. Alle anderen hatten sich mit den Gerüchten und Theorien zu begnügen, die die Zeitungen füllten. Wir können heute weitgehend klären, welche dieser Theorien der Wahrheit am nächsten kam. Reina war ein ehrgeiziger Mensch, der mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Politisch gehörte er zum Kreis der Palermer Christdemokraten. Er war ein »junger Türke« aus dem Lager Salvo Limas, der einer der verlässlichsten Politiker der Cosa Nostra war. Doch seit Reina der örtliche Parteichef geworden war, hatte sein Ehrgeiz ihn dazu gebracht, unabhängig zu denken. Er koalierte mit den Kommunisten, was ihm einige als Ketzerei auslegten. Er wolle der Anführer einer
Democrazia Cristiana
sein, erklärte er, die »nicht länger für die Bauindustrie und von der Bauindustrie« lebe. Gefährliche Reden: Reina hatte bereits Drohungen erhalten. Reina einen Märtyrer zu nennen, mag etwas übertrieben sein, dennoch war seine Ermordung eine frostige Provokation gegen den Staat. In der neuen Ära des Mafiaterrors wurde unabhängiges Denken in der sizilianischen DC mit dem Tode bestraft.
    Die fünf Morde des Jahres 1979 kamen einer Kriegserklärung gleich: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wagte die Cosa Nostra den Frontalangriff gegen den Staat – oder die wenigen, die in Italiens baufälligem Regierungsapparat ihre Pflichten ernst nahmen und verkörperten, was der Staat eigentlich hätte sein sollen.
    Und hier lag der wesentliche Unterschied zwischen der Cosa Nostra und den Roten Brigaden, ein Unterschied, der Erstere weitaus gefährlicher machte als Letztere. Die Roten Brigaden hatten gewiss auch ihre Spitzel und Sympathisanten. Trotzdem befanden sie sich
außerhalb
eines Staates, den sie stürzen wollten. Aktive
brigatisti
agitierten in geheimen Verstecken in den anonymsten Vierteln der italienischen Städte. Die Cosa Nostra dagegen war ein integrativer Bestandteil des Staates – eines Staates, den sie zu neutralisieren und ganz dem eigenen blutrünstigen, raubgierigen Willen zu unterwerfen gedachte. Aktive Mafiosi operierten von denselben

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