Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
keine der kriminellen Gruppierungen vor Ort revoltierte gegen die kalabrische Gegenwart. Wie Giuseppe Rogoli, Gründer der SCU , suchten sie sogar den Kontakt. 1990 wurde im Gefängnis von Lecce eine kleinere Mafia gegründet, die
Rosa dei Venti
(»Windrose«), und bat ebenfalls um den Segen der ’Ndrangheta. Die Anerkennung aus Kalabrien war offensichtlich ein hoher Wert für neue Gangs.
    Die ’Ndrangheta verfügt über ein schier unerschöpfliches und hochkompliziertes Repertoire an Symbolen, Traditionen, Rängen und Ritualen, die sie seit dem 19 . Jahrhundert bewahrt hat. Sie ist die letzte aus einer großen Sippe Ehrenwerter Gesellschaften auf dem italienischen Festland, zu der auch die einstige Ehrenwerte Gesellschaft Neapels gehörte und eine Organisation namens
Mala Vita
(wörtlich »schlechtes Leben«, ein Begriff für die »kriminelle Unterwelt«), die im 19 . Jahrhundert eine kurzlebige Vorläuferin der apulischen Mafia war, der
Sacra Corona Unita
. Einige der wichtigsten neuen Mafias der 1970 er und 1980 er Jahre, einschließlich der NCO und der SCU , ließen sich, was Stil und Struktur einer Bande anbelangte, vom umfangreichen Repertoire der ’Ndrangheta inspirieren.
    Neben den vielen Geschäftsmöglichkeiten, die sich im Bereich Drogen, Entführungen und dergleichen boten, genügten diese kulturellen Angebote, um sowohl die Apulier der SCU als auch die ’Ndranghetisti zufriedenzustellen, die als Sponsoren fungierten. Kurzum, die ’Ndrangheta zog es vor, sich nicht einzumischen. Sie wollte kein Imperium, nur eine exklusive Bande verlässlicher Geschäftspartner. Der treffendste Begriff für die kalabrische Annäherung an die apulische Verbrecherszene ist vermutlich »Franchising«.
    In den wohlhabenden Regionen Norditaliens war die ’Ndrangheta aufgrund ihrer Beteiligung am Baugewerbe und an der Entführungsindustrie längst fest verankert. Hier verbreitete die Organisation sich direkt und nicht, indem sie lokalen Banden wie der SCU ihren Segen gab. In den achtziger Jahren hatten ’Ndranghetisti bereits in vielen kleinen und großen Städten in der Lombardei und dem Piemont Niederlassungen gegründet, sogenannte
locali
. Diese Kolonien im Norden waren über Blutsbande und Geschäftsinteressen eng mit einzelnen
locali
in Kalabrien verknüpft: Über diese Kanäle wurden regelmäßig Drogen, Geld, Killer, Flüchtige und Entführungsopfer ausgetauscht. Junge Männer, die aus ’Ndrangheta-Familien im Norden stammten, kehrten in den Süden zurück, um in die Bruderschaft eingeführt zu werden. Die ’Ndranghetisti aus dem Norden kamen zusammen, um Streitereien zu schlichten und sicherzustellen, dass die kalabrischen Regeln eingehalten wurden. Wie ein abtrünniger ’Ndranghetista aus dem Norden bezeugte:
    » 1982 nahm ich an einem Treffen sämtlicher
locali
im Piemont teil. Ungefähr 700  Leute waren dort versammelt (…) Der Grund für das Treffen war die Tatsache, dass in Turin zu dieser Zeit viele kalabrische Mitglieder der ’Ndrangheta Zuhälterei betrieben – was in der ’Ndrangheta als ehrlos gilt (…) Also wurde beschlossen, den Mitgliedern die Zuhälterei zu verbieten. Wer den Befehl missachtete, sollte entweder aus der ’Ndrangheta ausgeschlossen oder beseitigt werden.«
    Die Strategie der ’Ndrangheta in anderen Regionen machte aus ihr die mit Abstand erfolgreichste der drei größeren Mafias. Ein sizilianischer Mafioso, der im Norden Geschäfte machte, sagte: »Im Piemont haben die Kalabresen das Sagen. Die kleinen Gruppen von Sizilianern stellen kein Problem für sie dar.« Die Kalabresen im Norden waren sich ihrer Macht so sicher, dass sie einzelne Gruppen sizilianischer Mafiosi innerhalb ihrer Struktur zuließen. Die ’Ndrangheta, einst die arme Verwandte der mächtigen sizilianischen Mafia, hatte es weit gebracht.
    Währenddessen ahnten die italienischen Behörden kaum, wie weit sich die ’Ndrangheta schon ausgebreitet hatte. Die sanfte Kolonisierungsmethode der kalabrischen Mafia erwies sich als die richtige Formel für eine Expansion in die Kernregionen der italienischen Wirtschaft.
    Kolonienbildung war jedoch nicht der einzige Verbreitungsweg der Mafia. Während die ’Ndrangheta in kleinen und großen Städten im Norden ihre Piratenflagge gehisst hatte, eroberte sich die Cosa Nostra mit Drogendollars Spitzenplätze innerhalb der italienischen Hochfinanz. Aldo Ravelli war ein bekanntermaßen ruchloser Börsenmakler, der im Laufe einer sich über Jahrzehnte erstreckenden

Weitere Kostenlose Bücher