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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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ihn daran zu hindern, allzu tief zu graben. Als Falcone an den Ort eilte, wo Costa ermordet worden war, raunte ein Kollege ihm vertraulich zu, während er sich über die entstellte Leiche beugte: »Wer hätte das gedacht. Ich war absolut sicher, dass du an der Reihe warst.« Giovanni war auf dem besten Weg, zum größten Feind der Cosa Nostra zu werden. Mit Paolo Borsellino sollte er zum Symbol des Kampfes gegen die Mafia werden. Die Geschichte des Kampfes gegen die Cosa Nostra in den achtziger und frühen neunziger Jahren ist größtenteils ihre Geschichte.
    Doch um es ernsthaft mit der Cosa Nostra aufzunehmen, und zwar innerhalb des gesetzlichen Rahmens, brauchten Falcone und Borsellino neue Werkzeuge. Und diese stammten, teils unverändert, teils in angepasster Form, aus der Bekämpfung des Terrorismus. Die Auseinandersetzung des italienischen Staates mit den todbringenden Idealisten der Roten Brigaden während der bleiernen Jahre hatte entscheidende Konsequenzen für die Geschichte des organisierten Verbrechens.
     
    1980 erhielt der Staat seine entscheidende Waffe im Kampf gegen die Roten Brigaden. Später wurde dieselbe Waffe mit vernichtender Wirkung gegen die Mafias zum Einsatz gebracht.
    Gesetz Nummer 15 vom 6 . Februar 1980 sicherte Mitgliedern von Untergrundorganisationen Strafminderung zu, wenn sie gegen Kollegen aus der Terrorszene Beweismittel lieferten. Das erste Mitglied der Roten Brigaden, das von dem neuen Gesetz profitierte, ein Zimmermannssohn namens Patrizio Peci, begann im April desselben Jahres zu reden. Peci war der Kommandant der RB -Kolonne in Turin, und sein Zeugnis deckte die Strukturen der Roten Brigaden im Nordwesten fast vollständig auf.
    Pecis Geschichte brachte in Italien eine neue, höchst umstrittene Figur ins Spiel: den
pentito
oder »Reuigen«, wie die Zeitungen beharrlich jeden Terroristen nannten, der gegen seine Genossen aussagte. In Italien sträuben sich jedem Gesetzgeber und Richter die Haare, sobald der Begriff »Reuiger« fällt, und zwar aus gutem Grund. Die »Reue« gehört zu den mächtigsten identitätsstiftenden Zusammenhängen der christlichen Kultur: Sie zeugt von Sünden der Vergangenheit, die bekannt und überwunden werden, von einem fröhlichen neuen Leben, das der Buße entspringt. Doch die christliche Vorstellung von Reue passt schlecht zu den mannigfaltigen Motiven der
pentiti
. Geheimnisse gegen Freiheit einzutauschen, ist oftmals ein selbstsüchtiger Handel – auch wenn er wertvolle Wahrheiten ans Licht bringt. Kaltblütige Killer können ihre Zeit hinter Gittern auf wenige Jahre verkürzen.
Pentiti
bringen auch ein eindeutiges Risiko für den Gerichtsprozess mit sich: ein Reuiger, der überzeugend mehr Beweise liefert, als er eigentlich kennt, kann mit größeren Vorteilen belohnt werden. »Reuig« ist damit ein ambivalenter Begriff für eine ambivalente Sache. (Vielleicht erklärt dies, warum keine der unbeholfenen Alternativen – wie »Justizkollaborateur« oder »Justizkomplize« – wirklich greifen konnte.)
    Doch für viele
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ist die Entscheidung, frühere Genossen zu verraten, sehr schmerzhaft (noch ein Grund, warum der Begriff »Reuiger« zwar inadäquat, jedoch unvermeidlich ist). Patrizio Pecis Entscheidung, mit dem Staat zu kollaborieren, war einer herben Enttäuschung geschuldet bezüglich der Sache, für die er getötet hatte. Er dachte später an Selbstmord, als Carabinieri, nachdem er ihnen den Tipp gegeben hatte, in Genua in eine Schießerei mit vier
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gerieten und sie allesamt töteten, darunter zwei seiner besten Freunde. Peci zahlte zudem einen schrecklichen Preis für seine Reue, als die Roten Brigaden seinen Bruder Roberto entführten, ihn einem »proletarischen Tribunal« unterzogen und ermordeten. Entsetzlicherweise filmten sie die Hinrichtung sogar als Abschreckung für andere. Eine solche unmenschliche Grausamkeit wurde von dem Hass befeuert, den die Reuigen bei denen auslösten, die sie verrieten. Reuige waren mehr als nur Polizeispitzel: sie waren
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– gemeiner, unseliger Abschaum. Als Mafiosi es den Terroristen gleichtaten und ebenfalls zu
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wurden, waren die moralischen Widersprüche, psychologischen Spannungen und blutigen Racheakte noch ungleich heftiger.
    Die Reuigen unter den Roten Brigaden, die dem Hass ihrer früheren Genossen trotzten, trafen auf einen Staat, der besser gerüstet war denn je, ihre Beweismittel zu nutzen. Italiens Polizei, besonders die Carabinieri, lernten, in speziell

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