Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Mitgliedern aus Salvatore Giulianos Bande –, bevor sein Fall überhaupt zur Verhandlung kam.
Pio La Torres Revolte gegen die Mächtigen und die Mafia war eine Tradition bäuerlichen Widerstands, die auf das 19 . Jahrhundert zurückging. Immer wieder hatten die Bauern erlebt, wie ihr Wunsch nach Land und einem erträglichen Leben von einem Bündnis zwischen den Großgrundbesitzern, der Polizei und der Mafia vereitelt worden war. Im Kampf für soziale Gerechtigkeit war die Rechtsstaatlichkeit eine Maske der Unterdrückung und der Staat kein Verbündeter, sondern ein Feind.
Doch in diesen frühen Jahren seiner Karriere als Kämpfer stieß Pio La Torre auch auf ein anderes Gesicht des italienischen Staates und eine ganz andere Tradition des Kampfes gegen die Mafia – eine, die nicht in den radikalen Bestrebungen der Bauernschaft wurzelte, sondern in den patriotischen, konservativen Instinkten der Kräfte von Recht und Gesetz. 1949 , als La Torre nach Corleone ging, um der proletarischen Sache zu dienen, traf er dort auf einen jungen Hauptmann der Carabinieri, der ebenfalls dort stationiert war: Carlo Alberto Dalla Chiesa.
Es gibt eine Anekdote, die besser als jede Beschreibung einfängt, in welches Wertesystem Carlo Alberto Dalla Chiesa hineingeboren wurde – und welch gewaltige kulturelle Kluft ihn von Pio La Torre trennte. 1945 warteten er und sein Bruder Romolo, beide Leutnants der Carabinieri, beide in Uniform, bang darauf, dass der Zug ihres Vaters in den Mailänder Bahnhof einfuhr. Es wäre kein gewöhnliches Wiedersehen: General Romano Dalla Chiesa kehrte aus einem Konzentrationslager heim. Im September 1943 hatte Italien sich den Alliierten ergeben und Deutschland eine Marionettenregierung errichtet. Wie viele Militärs wurde der General vor die Wahl gestellt, entweder auf deutscher Seite zu kämpfen oder interniert zu werden: Er entschied sich für Letzteres und hatte seitdem seine Familie nicht mehr gesehen.
Endlich fuhr der Zug ein, und die beiden Söhne Dalla Chiesas sahen auf dem Bahnsteig die ausgemergelte Gestalt ihres Vaters aus der Menge tauchen. Carlo Alberto schlug die Hacken zusammen, nahm Haltung an und salutierte. Romolo dagegen, von seinen Gefühlen übermannt, warf sich dem Vater in die Arme.
Tags darauf sandte General Romano Dalla Chiesa Romolo einen Verweis. In den Vorschriften der Carabinieri heißt es ausdrücklich, dass es einem Beamten in Uniform nicht gestattet sei, jemanden in aller Öffentlichkeit zu umarmen.
Carlo Alberto Dalla Chiesa war aus demselben harten Holz geschnitzt wie sein Vater. Wie dieser hatte er im Schreckensseptember des Jahres 1943 eine mutige Wahl getroffen. Damals war er in einer Villa an der Adriaküste einquartiert gewesen und hatte Befehl, die Küstenwache zu beaufsichtigen. Als er sich weigerte, sich an der Jagd nach Partisanen zu beteiligen, kam die SS , um ihn zu verhaften. Rechtzeitig gewarnt, entkam Dalla Chiesa durch ein Fenster im ersten Stock und flüchtete in die Felder. Er gründete eine Partisanenbande und überschritt im Winter 1943 die Front, um im befreiten Süden seine Pflicht wiederaufzunehmen.
Dalla Chiesa fühlte sich durch seinen Vater mit Sizilien verbunden, weil dieser in den 1920 er Jahren am faschistischen Feldzug gegen die Mafia beteiligt gewesen war. Zwei Jahrzehnte später meldete Carlo Alberto sich freiwillig, um sich der Sondereinheit anzuschließen, die das Banditenunwesen auf der Insel bekämpfte. Als er in Corleone ankam, musste er der Familie des verschwundenen Gewerkschafters Placido Rizzotto versprechen, dass er herausfinden werde, wer ihren Sohn getötet hatte. Rizzotto war wie Dalla Chiesa ein ehemaliger Widerstandskämpfer gegen die Deutschen. Dank Dalla Chiesas Schnüffelei begann die Mauer des Schweigens, der Omertà, zu bröckeln, man fand Teile von Rizzottos Leiche, und ein Bericht – der einen aufstrebenden jungen Mafioso namens Luciano Liggio als den Killer nannte – erreichte die Ermittlungsbehörden. Leider wurden die beiden Hauptzeugen gezwungen, ihre Aussagen zurückzuziehen, und Liggio kam wieder frei: eine entmutigende Neuauflage zahlloser Mafiaprozesse der Vergangenheit und eine Vorahnung von vielen künftigen. Dennoch blieb Dalla Chiesas Entschlossenheit den Corleoneser Bauern im Gedächtnis.
Nach Corleone würden sich Pio La Torre und Carlo Alberto Dalla Chiesa noch des Öfteren über den Weg laufen. Als er aus dem Gefängnis freikam, wurde La Torre in den Stadtrat von Palermo gewählt, wo er in
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