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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Premier Aldo Moro von den Roten Brigaden entführt und ermordet worden war. Andreotti hatte Carlo Alberto Dalla Chiesa mit besonderen Befugnissen ausgestattet, um der terroristischen Gefahr Herr zu werden.
    Dalla Chiesa glaubte fest an die Werte des Staates – die Insignien der Carabinieri seien ihm auf die Haut gebrannt, wie er häufig sagte. Doch war er nicht naiv. Er war ehrgeizig und wusste genau, wie wenig greifbar die Macht in Italien war, wie oft sie durch persönliche Kanäle floss und sich in den Händen von Cliquen sammelte. Er beherrschte die Kunst, Beziehungen mit seinen Vorgesetzten in der Politik durch ein ruhiges Wort, einen Brief, eine Information, die er einem Journalisten zuspielte, oder ein offizielles Zeitungsinterview sensibel zu gestalten. Als 1981 die Mitgliederliste der geheimen Freimaurerloge P 2 entdeckt wurde, ging das Gerücht, dass sich auch Dalla Chiesas Name darauf befunden habe. Er habe sich in der Tat um eine Mitgliedschaft beworben, erklärte er, vor allem aus dem Bedürfnis, die Aktivitäten der Loge zu überwachen, doch seine Bewerbung sei nicht akzeptiert worden. Die P 2 -Affäre warf einen Schatten auf Dalla Chiesas guten Ruf. Nichtsdestoweniger machte sein Pflichtbewusstsein ihn zu einem Außenseiter im Italien der politischen Lager und zwielichtigen Intrigen. Als er nach Palermo kam, zeigte sein Umgang mit Andreotti – der so manch zwielichtige Intrige gesponnen hatte –, wie verwundbar ihn dieser Außenseiterstatus machte.
    Am 6 . April 1982 wurde Dalla Chiesa zu Giulio Andreotti gerufen. Dieses Treffen war ein weiteres Beispiel dafür, wie personenbezogen Macht in Italien funktioniert: Sie wohnt nicht den Institutionen inne, sondern bestimmten Protagonisten und ihren Freundschaftsnetzwerken. Denn der Frühling des Jahres 1982 war einer der seltenen Momente in der Nachkriegsgeschichte, da Andreotti keinen Regierungsposten innehatte. Also hatte er auch keinerlei offizielle Befugnis, sich in Dalla Chiesas Sizilienmission einzumischen oder ihn um ein Gespräch zu bitten. Dalla Chiesa folgte der Aufforderung trotzdem. Wie üblich nahm der General kein Blatt vor den Mund: Er werde Andreottis Anhängern auf der Insel keine speziellen Gefälligkeiten erweisen, erklärte er. Später erzählte er seinen Kindern: »Ich war bei Andreotti; und als ich ihm sagte, was ich alles über seine Leute in Sizilien weiß, da wurde er blass.«
    Andreottis verschlüsselte und verschlagene öffentliche Erwiderung auf Dalla Chiesas kühne Absichtserklärung folgte in Form einer Zeitungskolumne. Dalla Chiesa nach Sizilien zu schicken, sei eine begrüßenswerte Initiative, schrieb er. Doch sicherlich sei das Problem in Neapel und Kalabrien doch ernster als in Sizilien?
    Diese rhetorische Frage war ebenso unaufrichtig wie alarmierend. Was die nackten Zahlen anbelangte, hatte Andreotti recht: Das organisierte Verbrechen verursachte mehr Todesfälle
außerhalb
Siziliens. Doch den großen qualitativen Unterschied in den Zielpersonen der Mafiagewalt auf Sizilien konnte niemand übersehen. Zugegeben, auch in Kampanien und Kalabrien gab es einige »prominente Leichen«. 1980 tötete die ’Ndrangheta zwei kommunistische Lokalpolitiker. Im selben Jahr ermordete die Camorra einen katholischen Bürgermeister und einen kommunistischen Stadtrat, die versucht hatten, den Gangstern den Zugang zur Goldmine des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben zu verwehren. So beklagenswert diese Verbrechen waren, mit den vielen hochrangigen Polizisten, Richtern und Politikern, die in Sizilien beseitigt worden waren, konnten sie nicht verglichen werden. Andreotti wusste dies. Und er wusste auch, dass alle anderen es wussten. Also hatte er eine Andeutung gemacht. Die Art von Andeutung, die selbst einen tapferen Mann wie Dalla Chiesa das Fürchten lehrte.
    Für einen ausländischen Beobachter mochte das politische Leben im Italien der Nachkriegszeit mit all seinen Irrungen und Wirrungen ans Komische grenzen: dieselben grauen Anzüge, die sich zankten und wieder versöhnten, unermüdlich neue Regierungen bildeten, die kamen und gingen wie die Runden eines Gesellschaftsspiels. Was jedoch bei diesem äußeren Eindruck fehlt, das ist die Angst, die die großen Drahtzieher der italienischen Politik verbreiteten. Denn sie hatten die Macht, den Leuten die Jobs wegzunehmen, sie an den Rand zu drängen, zu erpressen, in den Medien durch den Dreck zu ziehen und kafkaeske Gerichtsverfahren oder Steuerfahndungen in Gang zu setzen. Als ein

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