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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Chiesa seinen Söhnen in einem Brief, was vor ihm lag. Seine Hoffnungen waren groß: »In ein paar Jahren sollte es La Torre und mir gelingen, die wichtigsten Dinge zu erledigen.« Angesichts des beispiellosen Gemetzels in Sizilien waren die zwei großen, aber divergierenden Traditionen des Widerstands gegen die Mafia nach über 100  Jahren des Argwohns und der Missverständnisse fest entschlossen, mit vereinten Kräften zu kämpfen. Und ehrliche Sizilianer aus allen politischen Lagern waren nicht minder fest entschlossen, die Zusammenarbeit ihrer Hoffnungsträger zu unterstützen.
     
    Dalla Chiesas erste offizielle Pflicht als Präfekt von Palermo bestand darin, Pio La Torres Begräbnis beizuwohnen. Am 30 . April 1982 wurde La Torre in seinem Wagen von Maschinengewehrschüssen aus dem Hinterhalt getötet. Der Fahrer, Rosario Di Salvo, konnte noch vier vergebliche Schüsse auf die Angreifer abgeben, ehe er an der Seite seines großartigen Freundes starb. Di Salvo war kein Personenschützer der Polizei, sondern ein Freiwilliger aus der Kommunistischen Partei gewesen.
    Die Ermordung Pio La Torres löste das aus, was in Palermo mittlerweile zum schockierend vertrauten öffentlichen Ritual geworden war. Zunächst erschienen auf den Titelseiten der Tageszeitungen und in den Fernsehnachrichten die makabren Fotos der Opfer, die in unbeholfenen Posen zusammengesackt in einer Blutlache oder einem mit Einschusslöchern durchsiebten Wagen kauerten. Dann kamen die formelhaften Verurteilungen durch Politiker, die vorübergehend von ihren Rangeleien um Position und Einfluss abgelenkt waren. Schließlich folgte das Begräbnis, mit hochrangigen Staatsmännern – Vertretern eines Staates, der offenkundig seiner Pflicht nicht nachkam –, die gezwungen waren, sich der Wut der Trauernden und der Öffentlichkeit auszusetzen. (Ein führender sizilianischer Politiker, der bei La Torres Begräbnis das Wort ergriff, wurde mit den Rufen »Verpiss dich, Mafioso!« niedergebrüllt.)
    Für jeden, der Augen im Kopf hatte, war klar, dass sizilianische Mafiosi systematisch den Teil des Staates absägten, der ihrer Machtgier im Weg stand. Wären in irgendeinem anderen westlichen Land in dieser schockierenden Zahl herausragende Personen des öffentlichen Lebens ermordet worden, hätten die politischen Grundsätze längst dafür gesorgt, dass ein Nationalheld wie General Carlo Alberto Dalla Chiesa mit einem einstimmigen, klaren Mandat des Staates zum Gegenschlag ausholen konnte. Und als im März 1982 die ersten Berichte über seine Mission erschienen waren, hatten die Grundsätze der Politik offenbar noch gegolten: Regierung und kommunistische Opposition hatten einhellig beschlossen, Dalla Chiesa weitreichende Machtbefugnisse zu erteilen, die nicht auf Palermo, nicht einmal auf Sizilien beschränkt sein sollten. »Seitens der Politik dürfte es keinerlei Schwierigkeiten geben«, erklärte eine überregionale Zeitung.
    Doch während er noch um Pio La Torre trauerte, bereiteten Dalla Chiesa Schwierigkeiten seitens der Politik bald größere Sorgen als die Mafia. Durch Presseverlautbarungen und Interviews schossen die Strippenzieher in Rom mit verbrämten Botschaften in den Medien gegen Dalla Chiesas Ernennung. Lauwarmer Zuspruch mischte sich mit höflicher Bestürzung. Der Kampf gegen die sizilianische Mafia sei wesentlich, doch dürfe er die Mechanismen der Marktwirtschaft nicht behindern, sagten sie. Natürlich sei Dalla Chiesas Ernennung eine gute Sache. Doch die italienischen Demokraten müssten wachsam sein. Der General dürfe nicht zum Herold einer autoritären Wende werden: Sizilien brauche nicht noch einen »Eisernen Präfekten«. (Die Anspielung galt dem Präfekten Cesare Mori, der in den 1920 er Jahren den faschistischen Feldzug gegen das organisierte Verbrechen angeführt hatte.)
    Am 2 . April schrieb Dalla Chiesa dem Premierminister, um für sein neues Amt ein ausdrückliches und offizielles Mandat zu fordern. »Damit werde ich zweifellos zur Zielscheibe des örtlichen Widerstands, des subtilen wie des brutalen.« Und er wies darauf hin, dass die »heimtückischste ›politische Familie‹« in Sizilien bereits Stimmung gegen ihn mache.
    Es war unschwer zu erraten, wer mit dieser politischen Familie gemeint war: das Andreotti-Lager der christdemokratischen Partei, unter der Führung des »jungen Türken« Salvo Lima. Dalla Chiesa kannte Andreotti gut. Denn der christdemokratische Zauberer war Ministerpräsident, als der frühere

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