Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
nicht mehr und nicht weniger. Den Bemühungen einer Vielzahl von Historikern ist es zu verdanken, dass wir mittlerweile imstande sind, ein wenig Licht in das Dunkel der frühen Jahre des organisierten Verbrechens in Italien zu bringen und Fakten offenzulegen, die nicht nur erschreckend sind, sondern von erschreckender Relevanz für die Gegenwart.
Das vorliegende Buch entspringt meiner Überzeugung, dass die Erkenntnisse dieses wachsenden Forschungszweigs zu wichtig sind, um sie den Spezialisten vorzubehalten. Der Text vereint die bereits bekannte Dokumentation mit den besten Ergebnissen der jüngeren Forschung, so dass, wie man sagen könnte, eine Art Chor entsteht, eine vielstimmige Erzählung. Meine eigene Stimme ist insofern Teil des Chors, als das vorliegende Buch die Geschichte, die aus der aufregenden Forschungsarbeit in Italien hervorgegangen ist, mit maßgeblichen neuen Erkenntnissen ergänzt und korrigiert.
Dieses Buch unterscheidet sich noch in anderer Hinsicht: Es will die Geschichte
aller
Mafias in Italien erzählen. Bei Historikern ist ein vergleichender Ansatz noch immer sehr selten. (Für Soziologen und Kriminologen dagegen gehört der Vergleich zum Rüstzeug.) Vielleicht ist verständlich, dass Historiker hinterherhinken – nicht nur, weil das Schreiben einer zusammenhängenden Geschichte des organisierten Verbrechens in Italien eine beängstigend große Aufgabe ist. Die kriminellen Bruderschaften Siziliens, Kampaniens und Kalabriens passten sich jeweils den charakteristischen Zügen der Region an, aus der sie sich nährten. So war zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrer Entwicklung der Unterschied zwischen ihnen größer, als das verallgemeinernde Etikett »Mafia« es vielleicht vermuten ließe.
Die einzelnen Mafias haben jedoch nie unabhängig voneinander existiert. Ihre Gemeinsamkeiten sind ebenso wichtig wie die vielen Merkmale, die sie unterscheiden. Im Laufe ihrer Geschichte haben die drei Mafias miteinander kommuniziert und voneinander gelernt. Deshalb erinnert die isolierte Beschäftigung mit jeder einzelnen Mafia Italiens, bei allen individuellen Eigenheiten, manchmal an die Arbeitsweise eines Wissenschaftlers, der die Dynamik der natürlichen Auslese zu ergründen sucht, indem er auf Käfer starrt, die in einem verstaubten Schaukasten auf Stecknadeln gespießt sind. Ein weiter gefasster, vergleichender Kontext zeigt uns, dass es in Italien nicht etwa solitäre, statische kriminelle Organismen gibt, die isoliert voneinander agieren, sondern ein vielfältiges kriminelles Ökosystem, das bis zum heutigen Tag neue Lebensformen hervorbringt.
Die Spuren der gemeinsamen Geschichte der Mafias sind in einer gemeinsamen Sprache zu erkennen. Ein Beispiel dafür ist das Wort
omertà
– oder
umiltà
(Demut), wie es ursprünglich hieß. In ganz Süditalien und Sizilien steht
omertà-umiltà
für ein Gesetz des Schweigens und der Unterwerfung unter die kriminelle Autorität. Ein weiteres Beispiel ist der Begriff der »Ehre«: Jede der drei Vereinigungen beruft sich auf einen Ehrenkodex und bezeichnet sich als ehrenwerte Gesellschaft.
Doch die Gemeinsamkeiten zwischen den ehrenwerten Gesellschaften gehen weit über diese Begriffe hinaus und sind einer der Gründe für ihren Erfolg und ihre Langlebigkeit. Deshalb ist das Einzige, was die historisch-kritische Methode hinsichtlich des Märchens von Osso, Mastrosso und Carcagnosso uns lehren kann, die Erkenntnis, wie wertvoll ein Vergleich beziehungsweise ein paralleles Lesen der Entstehungsgeschichten von Mafia, Camorra und ’Ndrangheta ist.
2004 ist mein Buch
Cosa Nostra: Die Geschichte der Mafia
erschienen. Es enthält die wichtigsten Erkenntnisse der italienischen Forschung über diese berüchtigte kriminelle Vereinigung.
Omertà
ist keine Fortsetzung von
Cosa Nostra
, sondern ein eigenständiges Werk. Allerdings werden die Leser von
Cosa Nostra
vielleicht die eine oder andere Episode aus diesem früheren Buch wiedererkennen. Aus diesem Grund sollten sie wissen, ehe sie mit der Lektüre beginnen, warum die sizilianische Mafia auch für die Belange in diesem Buch von Bedeutung ist. Es gibt dafür zwei Gründe: Erstens haben in den vergangenen drei oder vier Jahren neue Erkenntnisse unsere Sicht auf Schlüsselmomente in der Geschichte des organisierten Verbrechens in Sizilien radikal verändert; zweitens lässt sich über die sizilianische Mafia noch etliches lernen, indem man sie mit der Camorra und der ’Ndrangheta vergleicht. Was dieser Vergleich
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