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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Gefangenen getrennte Zellen belegen, in denen ihre gottgegebenen Gewissen endlich Gelegenheit hätten, auf ihre Seelen einzuwirken: Die Rehabilitierung würde aus ihnen selbst geboren werden.
    Schlechte Planung, kärgliche Ressourcen und ein Mangel an politischem Willen begruben bald diese hochfliegenden Träume und verwandelten das Ucciardone-Gefängnis in einen dreckstarrenden, überfüllten Hohn auf die Rechtsstaatlichkeit. Der Polizei diente es als Druckmittel. Verdächtige verschwanden monatelang darin, ohne ordentliches Gerichtsverfahren. Für die Unterwelt war das Ucciardone-Gefängnis, wie ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in den 1860 ern erfuhr, »eine Art Regierung«, die in Zeiten politischer Unruhen Befehle erteilte.
    Ein Jahrhundert später trug das Palermer Gefängnis den Beinamen »Grand Hotel Ucciardone«: Mafiabosse betraten und verließen ihre Zellen in seidenen Morgenröcken, aßen Hummer, tranken Champagner und gaben Morde oder Drogenlieferungen in Auftrag. Vieles von dem, was Tommaso Buscetta dem Richter Giovanni Falcone über das Personal der Cosa Nostra erzählte, wusste er aus dem Gefängnis. Wie er während ihrer ersten Interviews im Sommer 1984 erklärte: »Die gleichzeitige Anwesenheit so vieler Ehrenmänner im Ucciardone stärkt die Verbundenheit zwischen ihnen noch mehr, weil sie so Gelegenheit haben, sich gegenseitig zu helfen und zu ermutigen.« Das Ucciardone war seit dem 19 . Jahrhundert
der
Treffpunkt für Ehrenmänner aus verschiedenen Familien, ein Zentrum der kriminellen Macht.
    1985 wurde das Gefängnis durch einen großen Anbau erweitert – ein Gerichtsgebäude, das bis zu 1000  Anwälten und Zeugen Raum bot und ebenso vielen Journalisten. Bäume wurden gefällt. Gebäude enteignet. Weit über 30  Milliarden Lire (etwa 36  Millionen Euro) wurden ausgegeben, um etwas zu schaffen, das einem gewaltigen Luftschutzbunker glich. Nur für den Fall, dass die Stahlbetonmauern nicht ausreichten, um die Gerichtsverfahren vor einem Raketenangriff oder einem bewaffneten Überfall zu schützen, wurde ein drei Meter hoher Stahlzaun errichtet. Unterirdische Gänge verbanden die Zellen des Ucciardone direkt mit den Käfigen, die im Halbkreis um den Gerichtssaal arrangiert waren.
    Im Gegensatz zu unzähligen anderen öffentlichen Bauprojekten der 1980 er Jahre war dieser Bau binnen weniger Monate fertiggestellt. Auftragnehmer wurden einer strengen Prüfung unterzogen, um jeden auszuschließen, der Mafiaverbindungen hatte. »Der Gerichtsbunker«, wie man ihn nennt, wurde eigens für ein bestimmtes Verfahren gebaut: den Mammutprozess, bei dem sich 475  Männer vor Gericht verantworten mussten, die im Verdacht standen, Mitglieder und Bosse der Cosa Nostra zu sein. Außerdem sollte das Buscetta-Theorem auf die Probe gestellt werden.
    Wie der Mammutprozess, für den er gebaut worden war, schied auch der Gerichtsbunker die Stadt Palermo in zwei Lager. Für einige war er, trotz seines abstoßenden Äußeren, ein Symbol für eine weitaus bodenständigere Hoffnung als jene, die den Bau des Ucciardone-Gefängnisses vor 150  Jahren beflügelt hatte: die Hoffnung auf Gerechtigkeit.
    Der Gerichtsbunker machte deutlich, dass die italienische Regierung, zumindest ein Teil von ihr, den politischen Willen gefunden hatte, die Cosa Nostra zu bekämpfen. Das Antimafia-Team erhielt vorübergehend Rückhalt durch die Ministerien in Rom: Finanzmittel wurden nicht nur für den Gerichtsbunker, sondern auch für eine bessere Sicherheits- und Informationstechnologie für die Ermittlungsrichter bereitgestellt.
    Auch in Palermo teilten viele die Hoffnungen, die im neuen Flügel des Ucciardone umgesetzt waren. 1985 wählte die Stadt einen neuen Bürgermeister, Leoluca Orlando, dessen politischer Mentor Piersanti Mattarella gewesen war, der reformfreudige Christdemokrat, der 1980 vor der eigenen Haustür ermordet worden war. Orlando sorgte dafür, dass sämtliche Planungsfragen, die mit dem Bau des Gerichtsbunkers in Zusammenhang standen, in Rekordgeschwindigkeit geklärt wurden. Er verkündete zudem, dass der Stadtrat als Zivilkläger im Mammutprozess präsent sein würde: Seine Behörde hatte tatsächlich die Absicht, die Bosse zu verklagen. Wo zahllose Bürgermeister das übliche Spiel gespielt und die Existenz der Mafia bestritten beziehungsweise vorgegeben hatten, diese Art der organisierten Kriminalität sei überall zu finden, nahm der neue erste Bürger der Stadt kein Blatt vor den Mund. »Palermo war

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