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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Institutionen des Staates betraf:
    »Heutzutage ist die Mafia im Wesentlichen von der Macht ausgeschlossen. Ich glaube nicht, dass man von einer organischen Verflechtung zwischen den Mächtigen und der Mafia sprechen kann; so wenig wie man sagen kann, dass jeder korrupte Mensch im öffentlichen Leben notgedrungen ein Mafioso ist.«
    Wie zur Bestätigung dieser Behauptung feuerte der
Giornale di Sicilia
am Vorabend des Mammutprozesses einen Polizeireporter, der Mafiathemen besonders fleißig recherchiert hatte.
    Schweigend betrachtete eine nervöse, amorphe und bei weitem nicht unschuldige Mehrheit der Stadtbevölkerung die Ereignisse. Einige Stimmen beschuldigten die Antimafia-Richter, sie hätten der Arbeitslosigkeit Vorschub geleistet. Das Argument war natürlich haltlos: Es war der Einfluss der Mafia, der seit Generationen für eine skandalöse Verschwendung und Ineffizienz gesorgt hatte. Dennoch klang es immer noch plausibel für die Architekten und Bauingenieure, die vom korrupten Bausystem profitiert hatten; für die Bankiers, denen es gleichgültig war, woher das Geld ihrer Kunden kam; für die Besitzer eleganter Boutiquen und Restaurants in der Via Libertà, deren Geschäfte dank der Einkünfte aus dem Drogenhandel florierten; für die Faulenzer, die Gefälligkeiten gesammelt hatten, um einen Posten im öffentlichen Sektor zu ergattern; oder für die Arbeitsbienen des Drogen- und Tabakschmuggelsektors.
    Palermo blieb in den 1980 er Jahren schwer zu entschlüsseln. Jede Äußerung einer öffentlichen Person wurde nach einem codierten Kommentar zur Arbeit des Antimafia-Teams abgeklopft. Giovanni Falcone interpretierte die allgemeine Stimmung in seiner Geburtsstadt mit resolutem Optimismus. Er sprach von den zahlreichen Briefen der Solidarität und Bewunderung, die er und seine Kollegen erhielten. Und dass die jungen Menschen, die zugunsten der Ermittlungsrichter Demonstrationen organisierten, eine große Reife an den Tag legten: »Sie zeigen uns, dass im Kampf gegen die Mafia die Parteizugehörigkeit irrelevant ist.« Die Journalisten, die ihn interviewten, wollten wissen, wie er mit seiner zunehmenden Bekanntheit und mit den Befürwortern und Gegnern seines Engagements umgehe.
    »Sie haben gewiss kein einfaches Verhältnis zu dieser Stadt. Da gibt es Leute, die meinen, Sie seien zu weit gegangen, Sie wollten Sizilien in den Ruin treiben. Dann gibt es andere, die sagen, wenn auch nur flüsternd: ›Was wir brauchen, sind tausend Falcones.‹ Was meinen Sie dazu?«
    Falcone gab eine typisch bescheidene Antwort, um die vertraute und potentiell gefährliche Vorstellung herunterzuspielen, dass die Sache der Antimafia ein persönlicher Feldzug sei. »Ich möchte zu dieser Stadt sagen: Menschen kommen und gehen. Doch ihre Vorstellungen und ihr moralisches Streben werden bleiben und auf den Beinen anderer weitergehen.«
     
    Der Mammutprozess begann am 10 . Februar 1986 . Während die Bosse der Cosa Nostra darauf warteten, dass sich der Vorhang über dem Gerichtsdrama hob, schwiegen die Gewehre.
    Unterdessen, als wollte es die Italiener daran erinnern, wie viel auf dem Spiel stand im Gerichtsbunker von Palermo, ging anderswo das Schlachten mit unverminderter Heftigkeit weiter – und mit ihm die heimtückische Macht des organisierten Verbrechens über den Staatsapparat und die demokratischen Abläufe, die dazu bestimmt waren, ihn zu lenken. Palermo mag eine optimistische Phase durchlebt haben im Vorfeld des Mammutprozesses, doch überall im Land geriet das politische System noch mehr aus den Fugen: Es regierte das Unrecht.
    Das Unrecht regiert
    In Kampanien bedeutete die militärische und juristische Niederlage der
Nuova Camorra Organizzata
des »Professors«, dass die gegnerische Koalition, die
Nuova Famiglia
, die Region für sich hatte. Kaum war ihr der Sieg gewiss, stürzte sich die NF augenblicklich in einen blutigen internen Vernichtungskrieg um die Kontrolle der Wiederaufbauwirtschaft nach dem Erdbeben. Die ersten Anzeichen dieses Kriegs waren in Marano zu erkennen, der Stadt im Norden von Neapel, wo der Nuvoletta-Clan – die Vizekönige der Cosa Nostra in Kampanien – seinen berüchtigten Bauernhof besaß.
    Am 10 . Juni 1984 rasten vier Autos mit quietschenden Reifen durch das Stadtzentrum von Marano, deren Insassen aus Maschinengewehren und Pistolen einander einen heftigen Schusswechsel lieferten. Ein unbeteiligter Passant, Salvatore Squillace, 28  Jahre alt, wurde in den Kopf getroffen: wieder ein

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