Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
schon immer die Hauptstadt der Mafia. Doch möchte ich mit Stolz hinzufügen, dass diese Stadt auch in der Lage ist, zur Hauptstadt der Antimafia zu werden.«
Dies war kein leeres Gewäsch. Im Vergleich zu den anderen Kernländern der organisierten Kriminalität auf dem süditalienischen Festland, hatte Sizilien in puncto Widerstand gegen die Mafia weitaus tiefgreifendere und vielfältigere Erfahrungen aufzuweisen. Den beiden traditionellen sind wir bereits begegnet, verkörpert durch den Kommunistenführer Pio La Torre und den konservativen General Carlo Alberto Dalla Chiesa. Die Ermittlungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino waren gewissermaßen die Erben dieser unterschiedlichen Traditionen des Widerstands gegen die Mafia: Falcone war ein Mann der Linken, während Borsellino Sympathien für die Rechte hegte.
In den Nachkriegsjahren gab es andere, sporadischere Beispiele für den Kampf gegen die Mafia. Der »sizilianische Gandhi« Danilo Dolci etwa, dessen Kampagne gegen die Armut in den 1950 er Jahren ihn bald gegen eine ihrer Ursachen aufbrachte. Oder die mutigen Enthüllungsjournalisten für die Zeitung
L’Ora
, die die Mafia im allgemeinen Schweigen der späten fünfziger Jahre beim Namen nannten. Oder die große Demonstration, die die Begräbnisse der vier Carabinieri, zwei Militäringenieure und des Polizisten begleitete, die 1963 durch die Autobombe von Ciaculli getötet worden waren. Die neuen linksgerichteten Gruppierungen, die nach 1968 entstanden, hatten ebenfalls starke Antimafia-Tendenzen. 1977 gründete eine kleine militante Gruppe ein Studienzentrum in Palermo, das bei Kampagnen gegen die Mafia zugegen sein sollte. Peppino Impastato, der linke Journalist und Sohn eines Mafioso aus Cinisi, einem Ort in der Nähe des Palermer Flughafens, wetterte jahrelang gegen den örtlichen Boss Tano Badalamenti, der Mitte der siebziger Jahre Boss der Bosse war. Impastato bezahlte sein Engagement mit dem Leben: 1978 wurde er an ein Gleis gefesselt und in die Luft gesprengt. Lange Zeit taten die Behörden seinen Tod als einen missglückten Terroranschlag ab.
In den blutigen Jahren des Mafiakrieges nach 1979 entstanden neue, weitaus nachhaltigere Formen des Widerstands. Geschätzte 100 000 Menschen hatten sich 1982 anlässlich der Begräbnisfeierlichkeit für Pio La Torre auf der Piazza Politeama in Palermo versammelt. Ein riesiger Fackelzug folgte Rocco Chinnicis Tod im Jahr 1983 . Die Familien der Opfer und ihre Unterstützer bildeten Selbsthilfe- und Widerstandsgruppen. Studenten inszenierten Kundgebungen zur Unterstützung der Polizei. Die Jahrestage der schlimmsten Gräuel, vor allem der Tod von General Carlo Alberto Dalla Chiesa, gaben Anlass zu Demonstrationen und anderen Initiativen. 1972 hatte sich ein sizilianischer Kommunistenführer beschwert: »Warum sind wir [die Kommunisten] die einzigen, die über die Mafia sprechen?« Als der Gerichtsbunker gebaut wurde, war seine Klage grundlos geworden.
Bürgermeister Orlandos eigene Geschichte – er war ein Anwalt, der den Jesuiten nahestand – kündete von einer zusehends lauter werdenden Schar katholischer Mafiagegner. Priester sprachen allmählich in ihren Predigten über die Mafia. Gruppen katholischer Aktivisten schlossen sich der Antimafia-Bewegung an. Zudem beobachtete das blutbesudelte Palermo die ersten Anzeichen eines ungewöhnlichen, wahrhaft epochalen Wandels in der Haltung der Kirchenführung.
Die Kirche war seit über 100 Jahren ziemlich gut ausgekommen mit Siziliens Ehrenwerter Gesellschaft. Wie immer hatte dies politische Gründe. Der Papst war einer der Verlierer gewesen in dem Prozess, der Italien geeint und Rom zur Hauptstadt gemacht hatte: Er hatte seinen gesamten weltlichen Besitz verloren, bis auf den Vatikan. Daraufhin verbot der Papst den Katholiken in Italien, sich an Wahlen zu beteiligen oder für ein politisches Amt zu kandidieren. Vom Staat entfremdet, suchten Bischöfe und Priester ihren zutiefst konservativen Instinkten gemäß nach alternativen Autoritätsquellen in der sie umgebenden Gesellschaft. Und die Mafia verstand es ausgezeichnet, sich als traditionelle Autoritätsquelle zu gerieren. Auf Sizilien, wie in Kampanien und Kalabrien, gaben lokale Heiligenfeste und Prozessionen den gewalttätigen Männern Gelegenheit, ihre Macht zu demonstrieren, während sie deren brutale Auswüchse scheinbar eindämmten.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren Kirche und Staat ausgesöhnt. Während des Kalten Krieges spielte
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