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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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mitgenommen hatte. Auch Cassarà arbeitete eng mit dem Antimafia-Pool zusammen, und Montana war für ihn weit mehr als ein Kollege. Nach einer schweigsamen Fahrt konnte Cassarà, aschfahl im Gesicht, nur murmeln: »Wir sollten uns mit der Tatsache abfinden, dass wir wandelnde Leichen sind.« Ein paar Tage später fand Cassarà die nötige Fassung, um ein erhellendes Interview zu den Hintergründen von Montanas Tod zu geben. Mittlerweile hatte der gewaltige Prozess gegen die
Nuova Camorra Organizzata
einen heftigen Streit über die Verurteilung des
Portobello
-Showmasters Enzo Tortora ausgelöst:
    »Wir beobachten die beunruhigenden Ereignisse sehr genau,
sowohl
um die Vorbereitungen des Mammutprozesses in Palermo als auch um den Mammutprozess gegen die Camorra. In Neapel sehen wir, was innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals vor sich geht. Man negiert den Wert der Aussagen von Kronzeugen. Wir wissen nicht, wie sich unsere neapolitanischen Kollegen verhalten haben. Wir wissen nur
,
dass wir
hier
vorangekommen sind, indem wir sorgfältig nach hieb- und stichfesten Beweisen suchten, um jedes Detail in den Aussagen der Kronzeugen bestätigen zu können.«
    Was Cassarà nicht erwähnte, war die Tatsache, dass die kriminelle Organisation, die in Neapel auf der Anklagebank saß, bereits am Ende war. Der Mammutprozess in Palermo dagegen hatte es mit einer Mafia auf dem Höhepunkt der Macht zu tun, deren Anführer größtenteils noch auf freiem Fuß waren. Am Ende des Interviews fügte Cassarà noch eine niederdrückende Schlussbemerkung hinzu: »Früher oder später werden sämtliche Ermittler ermordet, die ihre Aufgabe wirklich ernst nehmen.«
    Montanas grausamer Tod wandelte die anfängliche fatalistische Entschlossenheit der Männer unter Cassaràs Kommando in verzweifelte Wut. Fünf Tage später wurde ein junger Fischer und Amateurfußballer namens Salvatore Marino ins Verhör genommen. Zeugen hatten Marino am Tatort gesehen; in seiner Wohnung fand die Polizei ein blutiges Hemd und 34  Millionen Lire (heute etwa 40 000  Euro) in bar. Ein Teil des Betrags war in die Zeitung gewickelt, die den Bericht über Montanas Ermordung enthielt. (»Reuige« Mafiosi haben seitdem behauptet, dass Marino, der selbst kein Mafioso war, tatsächlich als Beobachtungsposten für die Mörder fungiert hatte.)
    Nichts davon entschuldigt, was mit ihm geschah. In Untersuchungshaft wurde er mit Fäusten traktiert, geschlagen und sogar gebissen. Mit dem Gesicht nach oben und dem Kopf im Nacken, wurde er auf einen Schreibtisch gefesselt; man stülpte ihm eine Kapuze über den Kopf und schob ihm einen Schlauch in den Mund, der in einen Eimer Meerwasser führte. Während ein Polizist auf seinem Magen saß, musste Marino Liter um Liter trinken. Diese Folter, als
cassetta
(Kiste) bekannt, war noch ein Relikt aus faschistischer Zeit. Wie viele Opfer der
cassetta
vor ihm starb Marino unter der Folter.
    In einem Anfall von Panik gaben die Männer, die für seinen Tod verantwortlich waren, an, Marino sei ertrunken. Ninni Cassarà fand heraus, was wirklich passiert war, und beschloss, das ungeschickte Tarnmanöver zu decken, das seine Männer in ihrer Bedrängnis inszeniert hatten. Er ging mitten in der Nacht zu Falcone nach Hause, um ihn um Hilfe zu bitten. Die beiden Männer hatten mittlerweile mehrere Jahre zusammengearbeitet und waren beste Freunde geworden. Sie schritten stundenlang unruhig im Zimmer auf und ab. Kurz vor Tagesanbruch erfuhren die Ermittlungsbehörden, was Salvatore Marino wirklich zugestoßen war.
    Am 5 . August wurde Salvatores weißer Sarg, auf dem sein blaues Fußballtrikot drapiert war, durch die Stadt getragen, während die Menge die Beamten als »Mörderbande!« beschimpfte. Bei der Begräbnisfeier hielt ein Karmeliter eine zornige Moralpredigt, die an die Polizei gerichtet war. Derselbe Führer der Radikalen, der dem Fernsehmoderator Enzo Tortora einen Sitz im Parlament und eine Plattform für seinen Kampf für Gerechtigkeit angeboten hatte, reiste eigens nach Palermo, um Marinos Mörder niederzumachen. Es kam das Gerücht auf, der Tod des Verdächtigen sei kein Unfall gewesen, das Überfallkommando habe eine spezielle Strategie, um inhaftierte Mafiosi »umzulegen«. Meinungsmacher in den Zeitungen des Landes waren sofort zur Stelle mit der Frage, ob der Kampf gegen die Cosa Nostra eventuell die Bürgerrechte gefährde. Noch am selben Abend, bevor der Obduktionsbefund vorlag, entließ der Innenminister den Kommandanten des

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