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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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der Katholizismus im politischen System Italiens keine Nebenrolle mehr, sondern rückte ins Zentrum. Eine katholische Partei, die Christdemokraten, beherrschte nun die politische Bühne und bildete einen Schutzschirm gegen die satanischen Kräfte des Kommunismus. Die Mafia nahm hinter dem Schirm Zuflucht und fand in der Hitze des Kalten Krieges den Beistand führender Kleriker. Ein berüchtigter Fall war Ernesto Ruffini, 20  Jahre lang der Kardinalerzbischof von Palermo: Er verurteilte wiederholt jegliche Erwähnung der »sogenannten Mafia« als linke Propaganda, deren Zweck es sei, Sizilien zu verunglimpfen.
    Als in den achtziger Jahren die Gewalt in Palermo eskalierte, entsandte Ruffinis Nachfolger, Kardinalerzbischof Salvatore Pappalardo, völlig andere Signale. Im November 1981 zuckten die von der Mafia unterstützten Politiker, die sich in der Kathedrale von Palermo zum Christkönigsfest eingefunden hatten, unbehaglich zusammen, als sie hörten, wie er sie als Mordkomplizen bezeichnete:
    »Die Verbrecher in den Straßen, die in aller Öffentlichkeit agieren, sind unentwirrbar fest in ein komplexes Netz eingebunden, dessen geheime Drahtzieher unter der Ägide gerissener Beschützer zwielichtige Geschäfte tätigen. Die Mörder selbst sind mit den Männern im Bunde, die sie zu ihren Verbrechen anstiften. Die Schläger an jeder Straßenecke und in jedem Stadtviertel sind mit Mafiosi im Bunde, deren Reichweite und Macht ungleich größer ist.«
    Beim Begräbnis von General Carlo Alberto Dalla Chiesa im September 1982 machte Kardinal Pappalardos zornige Tirade gegen den Staat, der kläglich versagt hatte, als es darum ging, Palermo beizustehen, sogar in der kommunistischen Tageszeitung
L’Unità
Schlagzeilen.
    An dieser Stelle fand die Mafia eigene Mittel und Wege, dem Kardinal mitzuteilen, was sie von seinem Widerstand gegen die Mafia hielt. Zu Ostern im darauffolgenden Jahr begab sich Pappalardo, wie es der Brauch war, ins Ucciardone-Gefängnis, um mit den Insassen die Messe zu feiern. Doch als er die Kapelle erreichte, stellte er fest, dass sie leer war. Ein Journalist beobachtete die Szene:
    »Fast eine Stunde lang wartete der Kardinal vergeblich auf die Häftlinge. Am Ende gelangte er zu der bitteren Erkenntnis, dass ihr Fernbleiben ein deutliches, feindseliges Signal an ihn war. Also stieg er in seinen kleinen Renault und ließ sich von seinem Sekretär zum Ordinariat zurückfahren.«
    Dennoch verursachten der Anblick des Gerichtsbunkers und das bevorstehende Prozessspektakel bei vielen Vertretern der Kirche wie auch bei den Menschen in Palermo eher Unbehagen als Zuversicht. Vielleicht aufgrund des beunruhigenden Erlebnisses im Ucciardone oder weil jemand im Vatikan ihm ins Gewissen geredet hatte, verzichtete Kardinal Pappalardo fortan auf explizite Äußerungen gegen die Mafia. Als er vor dem Mammutprozess interviewt wurde, beschuldigte er die Medien, die Gewalt der Mafia für Sensationszwecke zu missbrauchen, und sagte: »Die Kirche befürchtet, ein solch umfangreicher Prozess könnte zu viel geballte Aufmerksamkeit auf Sizilien ziehen. Ich mache mir Sorgen deswegen und bin auch etwas beunruhigt. Palermo unterscheidet sich nicht von anderen Großstädten.«
    Die katholische Kirche in Italien tendierte schon immer dazu, die öffentliche Ausübung weltlicher Gerechtigkeit als eine abstoßende Zurschaustellung roher Staatsgewalt zu betrachten. Als wären die Gerichte unselige Rivalen der Kathedralen. Kardinal Pappalardo, wie allzu viele Geistliche vor ihm, hatte sich augenscheinlich hinter dem alles übertünchenden Gerede von der Macht des Bösen, von Leid und Vergebung verschanzt: Mafiosi waren wie wir, allzumal Sünder. Ungeachtet all des Blutvergießens und ungeachtet der heroischen Opfer, die bereits erbracht worden waren, war die Kirche noch immer nicht bereit, explizit gegen die Cosa Nostra und für den Rechtsstaat Stellung zu beziehen.
    In Palermo waren im Vorfeld des Mammutprozesses noch mehr Stimmen des Zweifels aus dem Hintergrund zu hören. Einige sagten, er ruiniere das Image der Stadt. Ein Politiker hoffte, die Angelegenheit möge bald vorbei und vergessen sein, damit der Bunker einer nützlicheren Verwendung zugeführt werden könne, zum Beispiel als Konferenzraum. Siziliens einflussreichste Tageszeitung, der
Giornale di Sicilia
, war dezidiert zurückhaltend, was den Prozess anbelangte, und ihr Redakteur äußerte seine Skepsis, was die angenommenen Verbindungen zwischen der Mafia und den

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