Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
einschließlich zweier Söhne und eines Bruders. Der Boss zweier Welten hatte, wie viele Verlierer der Mafia vor ihm, einige Gründe, um über das Gesetz Rache zu üben. Er glich auch insofern vielen Mafiazeugen vor ihm, als er nur einen Teil dessen erzählte, was er wusste. Seine Drogenschieberfreunde wurden von seinen Enthüllungen kaum in Mitleidenschaft gezogen.
Buscettas Zeugenaussage folgte zudem einem Drehbuch, der Schilderung seines persönlichen Lebenswegs, den er mit vielen besiegten Mafiosi teilte: Es war einmal eine gute Mafia, eine Cosa Nostra, die sich an die echten, edlen Ideale der Organisation hielt. Jetzt hatte sich die Cosa Nostra verändert. Die Ehre war tot, und es herrschten Gier und Brutalität. Neuerdings töte die Mafia sogar Frauen und Kinder – deshalb wolle er, Tommaso Buscetta, als ein wahrer Ehrenmann, nichts mehr mit ihr zu schaffen haben. Natürlich eine irreführende, eigennützige Geschichte.
Doch wenn Tommaso Buscetta nicht anders war als die vielen Mafiosi, die vor ihm geredet hatten, warum war er dann so wichtig? Warum wird er immer als der Kronzeuge bezeichnet, der »Geschichte machte«? Der Hauptgrund ist, dass abtrünnige Mafiosi, ob die Mafia sie wieder in ihre Reihen holte, sie einschüchterte oder sie schlicht tötete, selten die Gelegenheit erhielten, ihre Zeugenaussagen dort zu wiederholen, wo sie wirklich zählten: vor Gericht. Was die Staatsanwaltschaft wusste, konnte sie nicht beweisen. Sobald die Verlierer der Mafia redeten, weigerte sich Italien, ihnen zu glauben. Und eine sizilianische Elite, die seit der Einigung Italiens eng verflochten war mit den Killern der Mafia, brauchte keine Extraeinladung, um die Aussagen der
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niederzureden: Es gebe überhaupt keine Mafia, sie sei lediglich eine sizilianische Geisteshaltung, all das Gemunkel über einen kriminellen Geheimbund basiere auf norditalienischen Vorurteilen und Wahnvorstellungen; es sei alles auf die Jahrhunderte zurückliegenden arabischen Invasionen zurückzuführen.
Zwischen den Gesprächen mit der Polizei und einer Aussage vor Gericht gab es eine lange, beschwerliche Reise zu bestehen. Für Falcone und den Palermer Antimafia-Pool bestand die Schwierigkeit darin, mit dem Boss zweier Welten den Weg zu Ende zu gehen. Nur dann ließe sich tatsächlich über ihn sagen, er habe den Lauf der Geschichte verändert.
Falcone und Borsellino wurden bei dieser Aufgabe tatkräftig von den USA unterstützt. Die Ermittlungen in Sachen Drogenschmuggel, die Falcone überhaupt erst auf die Mafia aufmerksam werden ließen, enthüllten das engmaschige Netz aus verwandtschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen, das Mafiosi zu beiden Seiten des Atlantiks geknüpft hatten. Falcone war insofern ein Pionier, als er als Erster begriffen hatte, dass die Ermittler, um der Mafia beizukommen, dieselbe internationale Basis brauchten wie ihre Feinde. Sizilianische Richter und Polizisten waren zweifellos doppelt so effektiv, wenn sie die Hilfe ihrer amerikanischen Kollegen in Anspruch nahmen. Buscetta, der Boss zweier Welten, war ein fast ebenso kostbarer Zeuge in den USA wie in Italien. Und die USA verfügten – im Gegensatz zu Italien – über ein ordentliches Zeugenschutzprogramm, dem man Buscetta anvertrauen konnte.
Viele finstere Tage verstrichen zwischen dem Zeitpunkt, als Tommaso Buscetta sich zu einem ersten Gespräch mit Giovanni Falcone bereiterklärte, und seinem Termin vor Gericht. Die finstersten Tage von allen kamen Ende Juli und Anfang August 1985 .
Beppe Montana war ein Mitglied des Überfallkommandos, das eng mit Falcones Team zusammengearbeitet hatte – ihm oblag die Aufgabe, die vielen Mafiosi aufzuspüren, die sich ihrer Festnahme durch Flucht entzogen hatten. In einem Interview hatte Montana die Stimmung fatalistischer Entschlossenheit in seinem Team folgendermaßen zusammengefasst: »In Palermo gibt es ungefähr zehn von uns, die eine echte Gefahr für die Mafia darstellen. Und ihre Killer kennen uns alle. Leider sind wir weiche Ziele. Wenn die Mafia beschließt, uns umzubringen, kann sie das ohne weiteres tun.«
Am 25 . Juli überraschten Montana zwei Killer, als er nach einem Bootsausflug mit seiner Freundin den Strand erreichte; er starb in der Badehose, im Alter von nur 33 Jahren. Die todbringende Kombination hatte wieder zugeschlagen.
Paolo Borsellino erinnerte sich, wie er Ninni Cassarà, den stellvertretenden Kommandanten des Überfallkommandos, vom Montana-Tatort aus im Auto
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