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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Tatenlosigkeit der Regierung in Bezug auf Mafiathemen würde herhalten müssen. Gleichwohl glaubte er, in dieser Funktion etwas erreichen zu können. Seine Bewerbung wurde abgelehnt – trotz (oder vielleicht auch wegen) der Tatsache, dass er von allen Kandidaten der qualifizierteste war.
    In Palermo erwies sich indes die Ernennung Antonino Melis als zerstörerischer, als Falcone und seine Freunde es befürchtet hatten. Kaum war er am Ruder, überging Meli den Antimafia-Pool kurzerhand. Mafiafälle wurden Staatsanwälten übertragen, die keinerlei Erfahrung und keinerlei offizielle Verbindungen zu anderen Staatsanwälten hatten, die sich mit organisierter Kriminalität befassten. Falcone und seine Kollegen wurden mit gewöhnlicher Ermittlungsarbeit zugeschüttet. Alle wesentlichen Vorteile, die der Pool gebracht hatte – die Anhäufung und das Teilen von Fachwissen, der Panoramablick auf die kriminelle Landschaft Siziliens, die Verringerung des Risikos –, wurden verspielt. Im praktischen Wirken der Palermer Staatsanwälte hatte die Cosa Nostra als Organisation bereits aufgehört zu existieren.
    Im Sommer 1988 nahm Borsellino seine Karriere selbst in die Hand, indem er sich öffentlich, von Marsala aus, über Melis Umgang mit den Palermer Ermittlungsrichtern beschwerte. »Ich habe den Eindruck, dass man mit einem gewaltigen Schachzug den Antimafia-Pool ein für alle Mal zu demontieren versucht.« Der Präsident der Republik befahl dem Obersten Gerichtsrat, er solle der Sache nachgehen. Meli verlangte Borsellinos Kopf. Falcone bestätigte Borsellinos Beschwerde und beantragte seine Versetzung. Während einer langatmigen und erschöpfenden Anhörung vor dem Obersten Gerichtsrat wurden über Falcone weitere Stimmen nach Sciascia-Art laut: »Niemand ist unersetzlich (…) so etwas wie einen Halbgott gibt es nicht.« Am Ende kam es zu einem schlampigen Kompromiss: Borsellino erhielt lediglich einen Klaps auf die Hand, und Falcone zog seinen Versetzungsantrag zurück.
    Zu beiden Seiten des Atlantiks beobachtete die Cosa Nostra den geheimnisvollen Mumpitz innerhalb des Obersten Gerichtsrates sehr genau. Joe Gambino, von den Cherry-Hill-Gambinos, rief einen Freund in Palermo an, damit dieser ihn über Falcone auf dem Laufenden hielt:
    »Ist er zurückgetreten?«
    »In Palermo ist immer noch der Teufel los. Er hat seinen Rücktritt zurückgezogen und ist wieder, wo er war, um dasselbe zu tun wie zuvor.«
    »Mist.«
    Doch die Mafia durfte durchaus optimistisch sein: Antonino Meli blieb auf seinem Posten und setzte weiter alles daran, den Pool zu demontieren. Er glaubte einfach nicht, dass die Cosa Nostra eine einzelne, umfassende Organisation war, und die Art und Weise, wie er Mafiafälle verteilte, spiegelte seine diffuse Sicht wider – eine Sicht, die schon in den 1970 er Jahren überholt gewesen war und erst recht in den 1980 ern. Die Cosa Nostra traf vorsichtshalber eigene Vorkehrungen. Im September 1988 wurde Antonino Saetta, ein Richter, der gute Chancen hatte, das Mammut-Berufungsverfahren zu leiten, mitsamt seinem Sohn erschossen.
    Im Juni 1989 nahm die Kampagne gegen Falcone eine noch unseligere Wendung. Anonyme Briefe unterstellten ihm, er habe einen Mafiakronzeugen beauftragt, einige Corleoneser zu töten. Der mysteriöse Urheber der Briefe, von der Presse als die »Krähe« tituliert, kam eindeutig aus dem Inneren des Palermer Justizpalastes, weil die Vorwürfe gerade ausreichend Details enthielten, um der Verleumdung einen vagen Anstrich von Glaubwürdigkeit zu verleihen. Falcone wurde erneut vor den Obersten Gerichtsrat zitiert.
    Am 21 . Juni 1989 dann – der Aufruhr um die »Krähenbriefe« lag noch in der Luft – wurde auf einem Felsen unterhalb von Falcones Ferienhaus in Addaura, an der Küste nicht weit von Palermo, eine Sporttasche mit 58  Stangen Dynamit entdeckt. Später wurden Riina und andere Mafiosi als die Bombenleger identifiziert, doch einige Aspekte des Addaura-Attentats bleiben bis heute ungeklärt. Zwei Polizisten, die am Tatort waren, möglicherweise Geheimagenten mit dem Auftrag, den Richter zu beschützen, wurden beide binnen weniger Monate ermordet. Überläufer aus den Reihen des Geheimdienstes, so wurde gemunkelt, seien für die Morde verantwortlich. Falcone hielt nichts von Verschwörungstheorien. Dennoch war er überzeugt, dass hinter dem Anschlag »äußerst raffinierte Köpfe« steckten und dass die Briefe der »Krähe« Teil des Plans gewesen waren. Seine Logik fußte auf den

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