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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Oberflächenhitze terroristischer Gewalt, konstanter Krisen und instabiler Koalitionsregierungen war das Nachkriegsitalien ein Land, das im Kalten Krieg erstarrt war. Ewig in der Opposition, erhielt der
Partito Communista Italiano
PCI finanzielle Unterstützung aus Moskau; ewig an der Regierung, kassierten die Christdemokraten Geld vom CIA . Fäulnis machte sich breit in der stagnierenden politischen Luft: In jedem Winkel des Staates kämpften Gruppierungen und geheime Klüngel um die Brocken der Macht. In einem durch und durch italienischen Paradox wurden die Kontakte zwischen den Palästen der Macht und dem Land »da draußen« zugleich gefährlich distanziert und erdrückend eng.
Distanziert
, weil die Zwangsvorstellung, Freunde und Verbündete voranbringen und »Machtzentren« in Besitz nehmen zu müssen, eine Reform nahezu unmöglich machte. Die wirklichen Rechte und Bedürfnisse des italienischen Volkes – wie die Rechtsstaatlichkeit – blieben unberücksichtigt. Zugleich aber auch
eng
, da der Staat nach und nach immer größere Bereiche der Gesellschaft beanspruchte und die Menschen politische Verbündete und Freunde brauchten, um Arbeitsstellen oder beliebige Dienstleistungen zu bekommen. Hier war ein Volk, das Politiker verabscheute, dabei aber ungleich mehr am Tropf der Politik hing als jede andere Nation in Europa. Hier waren ein Staat, der den Mafias einen idealen Nährboden bot, und eine Regierungspartei, die nur wenige Antikörper gegen den Infekt Mafia besaß. Hier war eine Gesellschaft, in der jeder, der ordentliche Arbeit leistete, der die Initiative ergriff, Gefahr lief, mit Argwohn, wenn nicht gar Feindseligkeit beäugt zu werden. Giovanni Falcones Resignation in den späten 1980 er Jahren spiegelte die Erfahrung unzähliger anderer ehrlicher Bürger.
    Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 und das Ende der 42  Jahre Kalten Krieges sollten das System zutiefst destabilisieren. Die unmittelbarste Auswirkung bestand darin, dass die Kommunistische Partei Italiens sich veranlasst sah, den Namen zu ändern, und in eine Identitätskrise stürzte, die sie regelrecht außer Gefecht setzte. Der große Buhmann der italienischen Politik existierte nicht mehr. Zunächst schienen die Christdemokraten und ihre Verbündeten ungeschoren davonzukommen, als die Sieger. Doch ihr System hatte seine Daseinsberechtigung verloren, seine
raison d’être
: die Roten fernzuhalten. Die DC lebte jetzt von geborgter Zeit.
    Der Mann, der die zynische und unsaubere Seite der christdemokratischen Regierung verkörperte, Giulio Andreotti, war zwischen 1989 und Frühjahr 1992 Ministerpräsident. Sogar Andreotti und die übrigen Bonzen des alten Systems sahen ein, dass die Regierung jetzt die Initiative ergreifen musste. Die Sehnsucht nach Reformen und die angestaute öffentliche Abscheu gegen die politische Klasse Italiens suchten nach einem Ventil. In den christdemokratischen Hochburgen im Nordosten begann die
Lega Nord
Wählerstimmen einzufahren, indem sie Süditaliener mit rassistischen Beschimpfungen bewarf und vulgäre Schmähungen gegen das »räuberische Rom« verspritzte. Die Verbrechensbekämpfung war für die Politiker, die Italien so lange regiert hatten, eine gute Möglichkeit, um sich ihre Daseinsberechtigung zurückzuholen.
    Im Februar 1991 übernahm Giovanni Falcone ein hohes Amt im Justizministerium: Sein Auftrag lautete, Italiens Umgang mit dem organisierten Verbrechen gründlich umzukrempeln. Für die Regierung war dies eine verblüffende Kehrtwendung. Wie schon damals jedermann wusste, erhielt Andreotti seit den späten sechziger Jahren politische Rückendeckung von Salvo Lima und der betrügerischsten »politischen Familie« der Insel. Wie heute jedermann weiß, pflegte Andreotti bis 1980 enge Verbindungen zur Cosa Nostra. Und jetzt überließ er strategische Stellungen des Rechtssystems dem größten Feind der Cosa Nostra. Falcones Beförderung war einerseits höchst willkommen, andererseits diente sie einem zynischen Zweck.
    Viele Menschen in Palermo, von den Mafiosi bis zu einigen Anhängern Falcones, waren überzeugt, dass die Galionsfigur der Antimafia ihre Prinzipien gegen einen gemütlichen Lehnsessel in einem schicken römischen Büro eingetauscht hatte. Die Skandale und Enttäuschungen in den Jahren seit dem Mammutprozess hatten ihn offenbar zermürbt. Andreotti hatte ein weiteres Opfer geködert.
    Am Vorabend seiner Abreise nach Rom antwortete Falcone auf diese Beschuldigungen in einem

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