Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Bomben zu verhandeln. Nur mit wem? War jemandem daran gelegen, die Mörder Falcones und Borsellinos zu beschwichtigen? Wurde etwa eine Übereinkunft getroffen? Heute, 20 Jahre später, glauben Ermittlungsrichter, dass sie die Antworten auf diese Fragen erahnen können.
Der Krieg der Cosa Nostra gegen den Staat war mit den Morden an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992 nicht beendet. Ebensowenig gebot die Festnahme Totò Riinas im Januar 1993 dem Bombenhagel Einhalt. Tatsächlich verübten im selben Jahr loyale Riina-Anhänger innerhalb der Cosa Nostra – die sogenannten »Massaker-Befürworter« – eine Reihe von Terroranschlägen gegen Ziele auf dem italienischen Festland, die von großem öffentlichen Interesse waren.
Am 14 . Mai 1993 detonierte eine Autobombe in der Via Fauro in Rom. Die Zielperson war Maurizio Costanzo, ein bekannter Talkshowmoderator, der seine Abscheu gegen die Verbrechen der Cosa Nostra sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Zum Glück entging Costanzos Wagen der Explosion. Zwar wurden viele Menschen verletzt, aber niemand getötet: Ein Blutbad war gerade noch verhindert worden.
Dreizehn Tage später war weniger Glück im Spiel, als ein Fiat-Minivan, bestückt mit Sprengstoff, ohne Vorwarnung im Schatten der Uffizien in Florenz explodierte. Fünf Menschen starben, darunter ein neunjähriges Mädchen. Der Motor des Wagens steckte in einer Mauer am gegenüberliegenden Arnoufer, und drei Gemälde in den Uffizien wurden so stark zerstört, dass eine Restaurierung aussichtslos gewesen wäre.
Zu fünf weiteren Todesfällen kam es am 27 . Juli in Mailands Via Palestro. Kurz nach elf Uhr nachts wurden drei Feuerwehrmänner, ein Polizist und ein Mann, der zufällig auf einer Bank in der Nähe geschlafen hatte, von einer weiteren Autobombe getötet.
Knapp eine Stunde später explodierte in Rom eine Autobombe der Cosa Nostra. Bereits im Frühjahr hatte die katholische Kirche die Quittung erhalten für die Anklage des Papstes gegen die Cosa Nostra. Ein Sprengsatz hatte die Fassade des offiziellen Papstsitzes in der Stadt beschädigt, die Basilika San Giovanni in Laterano – auf dem großen Platz davor finden regelmäßig politische Kundgebungen statt. Ein zweiter Sprengsatz zerstörte den Portikus der Kirche San Giorgio in Velabro. In beiden Fällen gab es keine Opfer zu beklagen.
Rom hätte auch der Schauplatz des schlimmsten Blutbads im gesamten Kampf werden sollen. Am 31 . Oktober 1993 parkte ein mit Dynamit gespickter Lancia Thema vor dem Olympiastadion, wo ein Fußballspiel zwischen Lazio und Udinese stattfand. Der Sprengsatz war gegen die Fans gerichtet, die das Stadion verließen, und gegen die Carabinieri, die die Menge beaufsichtigten. Er hätte Dutzende töten können, detonierte jedoch nicht.
Kein Ereignis in den Annalen des organisierten Verbrechens in Italien ist mit den Gräueln der Jahre 1992 und 1993 zu vergleichen. Während dieser beiden schrecklichen Jahre blieb die Absicht der Blutbadbefürworter dieselbe: »Wir müssen Krieg führen gegen den Staat, damit wir den Frieden gestalten können.« Riinas Forderungen waren hoch: Die effizientesten Waffen des Staates gegen das organisierte Verbrechen (die Kronzeugen, das Rognoni-La Torre-Gesetz) sollten stumpf und die juristischen Ergebnisse rückgängig gemacht werden, die mit diesen Waffen erzielt worden waren (Falcones und Borsellinos Mammutprozess).
Während ein Blutbad auf das andere folgte, wurde das Bedürfnis der Cosa Nostra nach Verhandlungen dringender, die Liste ihrer Forderungen länger. Als Reaktion auf Falcones Tod setzte die Regierung neue Haftbedingungen durch, allgemein als Bestimmung
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bekannt, die führende Mafiosi daran hindern sollte, mit der Außenwelt zu kommunizieren und auf diese Weise ihre Imperien zu leiten. (Auch dies war eine Idee Falcones.) In der Nacht vom 19 . auf den 20 . Juli, nur Stunden nach dem Mord an Paolo Borsellino, trat
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in Kraft, woraufhin Militärflugzeuge 55 Bosse aus dem Ucciardone auf die Insel Pianosa vor der toskanischen Küste transportierten, damit sie weiteren 101 Schwerverbrechern in der trostlosen Strafkolonie Gesellschaft leisteten. Die Abschaffung dieser neuen Haftbedingungen wurde schnell den Kriegszielen der Cosa Nostra hinzugefügt.
Das Kapitel der Mafiaanschläge von 1992 und 1993 hat in mancherlei Hinsicht ein beunruhigend offenes Ende. Zum Beispiel mutmaßen einige, dass nicht nur Nachlässigkeit im Spiel war, als Paolo
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