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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Borsellino nach Falcones Ermordung in so beklagenswerter Weise ungeschützt blieb.
    Unmittelbar nach Borsellinos Tod verschwand sein rotes Notizbuch vom Tatort, das einige seiner geheimsten Aufzeichnungen enthielt. (Borsellinos jüngerer Bruder Salvatore hat das rote Notizbuch zum Symbol für seine Suche nach der Wahrheit gemacht.)
    Als Totò Riina 1993 festgenommen wurde, blieb seine Villa eine Weile unbeaufsichtigt, lange genug, um seinen Gefolgsleuten die Möglichkeit zu geben, sich dort Zugang zu verschaffen, Eigentum und kompromittierende Dokumente zu beseitigen und sogar die Zimmer neu zu tapezieren. Wie genau dies geschehen konnte, wurde nie in zufriedenstellender Weise in Erfahrung gebracht. Der Vorfall legt den Verdacht nahe, dass irgendjemand innerhalb der Cosa Nostra den »Kurzen« gegen Gefälligkeiten an die Behörden verraten hat.
    Entscheidende Einsichten in die Verhandlungen der Cosa Nostra mit dem Staat brachte 2008 Gaspare Spatuzza, als er anfing auszupacken. Spatuzza, unter dem Spitznamen »Glatze« bekannt, war ein Ehrenmann aus der Brancaccio-Familie, der bereits für seine Rolle im Bombenkrieg der Cosa Nostra auf dem italienischen Festland zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. »Glatze« erklärte, dass Vincenzo Scarantino, der junge Drogendealer, der für den Mord an Borsellino seit eineinhalb Jahrzehnten im Gefängnis saß, weil er die Autobombe gelegt hatte, unschuldig sein müsse, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er, Spatuzza, dafür verantwortlich sei. So überzeugend war der Beweis, mit dem Spatuzza seine Enthüllung bekräftigte, dass Scarantino auf freien Fuß gesetzt und seine Unschuld bestätigt wurde. (Er hatte lange Zeit beteuert, er sei unschuldig, und behauptet, er sei so lange gefoltert worden, bis er gestanden habe.)
    Wieder gaben die Massaker von 1992 und 1993 Rätsel auf. Wurde Scarantino von übereifrigen Polizisten hereingelegt, die im aufgeheizten Klima nach den Morden an Falcone und Borsellino dringend Ergebnisse brauchten? Oder war die schockierende Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war, Teil eines größeren, weitaus perfideren Plans?
    Spatuzzas Aussage hat der Suche nach der Wahrheit um die Verhandlungen zwischen der Cosa Nostra und dem Staat zu Beginn der 1990 er Jahre neuen Schwung verliehen. Mittlerweile sind noch beunruhigendere Beweise aufgetaucht. Einige Carabinieri haben bestätigt, dass sie im Sommer 1992 tatsächlich versucht hatten, mit der Cosa Nostra in Kontakt zu treten, um den Massakern ein Ende zu machen, bestreiten jedoch, dass es zu Verhandlungen kam.
    Im Sommer und im Herbst 1993 , während Spatuzza in Florenz, Mailand und Rom Autobomben legte, wurden nicht weniger als 480  Mafiosi durch Justizminister Giovanni Conso von den Haftbedingungen nach Bestimmung
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-bis
befreit. Conso hat unlängst erklärt, dieser Gnadenakt sei eine rein persönliche Initiative gewesen, ein entgegenkommendes Signal.
    Am meisten bestürzt die Tatsache, dass Paolo Borsellino, wie unlängst bestätigt wurde, offenbar herausgefunden hatte, dass der Cosa Nostra kurz nach Falcones Tod Friedensvorschläge unterbreitet worden waren – Friedensvorschläge, denen er sich entschieden widersetzt hatte. Riinas Topkiller behauptete, die Cosa Nostra habe Borsellino nur getötet, weil sie ihn daran hindern wollte, sich der Übereinkunft in den Weg zu stellen: »Die laufenden Verhandlungen waren der Hauptgrund, warum der Plan, Borsellino zu beseitigen, schleunigst in die Tat umgesetzt werden musste. Hinter allem steckten die Carabinieri, die haben uns [die Cosa Nostra] manipuliert.«
    Einer der beiden bedeutendsten Morde in der Geschichte des organisierten Verbrechens in Italien bleibt somit im Wesentlichen ungeklärt. Zeugenaussagen von Spatuzza und anderen erwecken den niederdrückenden Verdacht, dass Paolo Borsellino absichtlich geopfert wurde. Einige Zeugen sprechen von einer Beteiligung des Geheimdienstes sowohl bei den Verhandlungen zwischen Mafia und Staat als auch bei der Ermordung Paolo Borsellinos.
    Während ich dies hier schreibe, wird gegen mehrere Mafiabosse, darunter Totò Riina, wegen ihrer Rolle bei dem Erpressungsversuch gegen den Staat in den Jahren 1992 und 1993 Anklage erhoben. Drei hochrangige Carabinieri und zwei Politiker haben mit ähnlichen Vorwürfen zu rechnen. Ein ehemaliger Innenminister steht im Verdacht, über die Verhandlungen falsch ausgesagt zu haben. Das Verfahren hat erst begonnen, und die Unschuldsvermutung kann in einem so kniffligen,

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