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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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darauf lächelten die Leute mir zu und gaben mir zu verstehen, dass ich das Richtige getan hatte.«
    Mittlerweile war Riggios
locale
in einen Revierkonflikt geraten. Am Ende hatte der Junge selbst vier Morde begangen und bei zehn weiteren geholfen. Er war 21  Jahre alt. Riggio stellte sich im September 1993 als Kronzeuge zur Verfügung, nachdem er sich in ein Mädchen aus Rovigo verliebt hatte, das später seine Frau werden würde. Seine Aussage brachte seinen ehemaligen Boss und die meisten Mitglieder des
locale
hinter Gittern. Auf die Frage, was er jetzt von der Polizei halte, sagte er: »Heute habe ich das Gefühl, als sei ich einer von ihnen, denn letztlich gehen wir alle dieselben Risiken ein und kämpfen für dieselbe Sache.«
    Diese »Reuigen« und auch der vermehrte Polizeidruck hatten zweifellos ihre Wirkung. Denn etwa um dieselbe Zeit war die ’Ndrangheta endlich zu der Einsicht gelangt, dass Entführungen zu viele Polizisten in die bewaldeten Hügel des Aspromonte zogen. Die Entschlossenheit einer einzelnen Frau spielte in ihrer Entscheidung ebenfalls eine Rolle. Im Januar 1988 wurde Angela Casellas Sohn Cesare von der ’Ndrangheta entführt. Mehrmals während der 743  Tage seiner Gefangenschaft reiste sie von ihrem Heimatort Pavia, in der Nähe von Mailand, hinunter nach Kalabrien. Die Presse verlieh ihr den Beinamen »Mutter Courage«, weil sie die Menschen auf dem Aspromonte um Hilfe bat. Auf mehreren Dorfplätzen kettete sie sich sogar fest. Als ihr Sohn im Januar 1990 schließlich freigelassen wurde, war sein Fall ebenso bekannt wie die Getty-Entführung. In den frühen 1990 er Jahren gaben kalabrische Gangster ihr einträgliches Geschäft mit Entführungsopfern auf, dessen Gewinne es ihnen ermöglicht hatten, im Drogenhandel und der Bauindustrie Fuß zu fassen.
    Eine entscheidende Phase in der Geschichte der ’Ndrangheta war vorüber. Allerdings waren die Kalabresen von allen drei Mafias am wenigsten von den schärferen Polizeimaßnahmen zu Beginn der 1990 er Jahre betroffen. Ein Zeichen dafür ist schon allein die Anzahl der Reuigen. 1995 waren 381  Mitglieder der Cosa Nostra als Kronzeugen vermerkt. Aus den Reihen der Camorra gab es im selben Jahr deutlich weniger Reuige: 192 . Doch dann richteten frühere Bosse wie Carmine Alfieri unverhältnismäßig großen Schaden an. Mit insgesamt 133 hatte die ’Ndrangheta von den drei klassischen kriminellen Organisationen die wenigsten
pentiti
.
    Relativ ungeschoren konnte die ’Ndrangheta jetzt die Belohnung ernten für die lange Unsichtbarkeit, die sie von der Camorra und der Cosa Nostra unterschied. Ihr Beschluss, Totò Riinas Einladung abzulehnen und sich aus dem Krieg der Cosa Nostra gegen den Staat herauszuhalten, zahlte sich ebenfalls aus. Nach 1992 würde von allen kriminellen Organisationen nur die ’Ndrangheta ihr Geheimnis wahren: Ihre innere Struktur war nur teilweise entschlüsselt und ihre Existenz als
ein
krimineller Geheimbund – statt eines losen Nebeneinanders örtlicher Clans – noch unbestätigt.
    Verhandlungen im Bombenhagel: Geburt der Zweiten Republik
     
    Der Schock angesichts der Morde an Falcone und Borsellino war am heftigsten bei Richtern und Staatsanwälten: bei den Kollegen natürlich, aber auch bei jungen Staatsanwälten, die die beiden Helden nur von fern bewundern und versuchen konnten, dem Geist der Selbstaufopferung gerecht zu werden, den sie verkörperten. Einer dieser jungen Staatsanwälte fasste die Empfindungen der Kollegen seiner Generation zusammen: »Nach der zweiten Bombe waren wir alle ernsthaft bereit, getötet zu werden. Trotzdem hatten wir uns dem Diktat der Mafia nicht ergeben.« Die Bomben von 1992 sprengten einen tiefen Graben zwischen die Vertreter der Rechtsstaatlichkeit auf der einen Seite und das kriminelle Machtsystem auf der anderen. Die Ära des Dialogs, der Kompromisse und des Einvernehmens zwischen Staat und Mafia, die Richter wie Giuseppe Guido Lo Schiavo hervorgebracht hatte, die Inspiration für den Film
Im Namen des Gesetzes
, war endgültig vorbei.
    Zumindest hätte sie vorbei sein sollen. Seit 1992 werden Richter und Staatsanwälte in Sizilien und anderswo von Fragen verfolgt, die partout nicht verschwinden wollen. Totò Riina hatte seiner Organisation klare Richtlinien vorgegeben, als die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zum Mammutprozess gegen ihn ausgefallen war: »Erst Krieg führen gegen den Staat, und hinterher den Frieden gestalten.« Die Cosa Nostra versuchte, mittels

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