Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
mit Namen Ferdinando Mele am helllichten Tag einen Messerstich hinter dem Ohr ein; nach wenigen Stunden war er tot. Mele verkörperte sämtliche Widersprüche seiner Zeit: Als Camorrista, der mit den Patrioten im Bunde war, stand er im dringenden Verdacht, Giuseppe D’Alessandro ermordet zu haben; im Juni 1860 war er von Liborio Romano als Polizist verpflichtet worden und hatte seitdem in einem ganzen Stadtviertel für Recht und Ordnung gesorgt.
    Meles Mörder war bald gefasst und wurde durch die Straßen zum Revier geschleift. Sein Name war De Mata; er hatte Mele aus Rache getötet, weil Mele seinen nicht minder schurkischen Bruder verhaftet hatte. Auch De Mata verkörperte einige seltsame Widersprüche. Er war zwar kein Mitglied der Ehrenwerten Gesellschaft, aber dennoch ein Erpresser, der aus dem Gefängnis entkommen war. Doch irgendwie hatte dieser gefährliche Mensch, einem mächtigen Freund sei Dank, eine Scheinarbeitsstelle im Postamt gefunden.
    Jener mächtige Freund war, wie sich herausstellte, kein Geringerer als Silvio Spaventa. Beide De Mata-Brüder waren Mitglieder in Spaventas persönlicher Leibgarde. Es ging das Gerücht, Spaventa habe die De Mata-Brüder und ihre Bande dazu benutzt, politisch gefährliche Zeitungen schließen und renitente Journalisten verprügeln zu lassen. Offenbar hatte am Ende selbst der unbestechliche Spaventa mit dem Teufel paktiert.
    Auf den Skandal hin nahm Spaventa seinen Abschied – obwohl die Regierung eine Geschichte erfand, um den wahren Grund seines Rücktritts zu vertuschen. Die
Times
kommentierte die Angelegenheit verdrossen für ihre verblüfften Leser im fernen London.
    »Nichts in Neapel hält einer genaueren Betrachtung stand. Unter der glanzvollsten Fassade verbirgt sich nichts als Fäulnis; und wer in dieser Gegend im Laufe der nächsten Generation Ordnung und Ruhe erwartet, der kennt Land und Leute nur sehr oberflächlich.«
    Spaventas Beispiel ließ für Recht und Gesetz in Neapel in der Tat eine düstere Zukunft erahnen. Obwohl die Behörden die Camorra nie mehr auffordern würden, Ordnung zu schaffen, wie Liborio Romano es getan hatte, sollte das Polizeiwesen in den kommenden Jahren einem gleichbleibend tristen Rhythmus folgen: Zuerst schlug das Pendel in Richtung Repression, mit Massenverhaftungen, begleitet von lautstarker Anti-Camorrarhetorik; dann, sobald die Bosse ihre Macht in der Unterstadt zurückerobert hatten, wieder in Richtung »Teufelspakt«. Die italienische Einigung in Neapel war eine chaotische, unberechenbare Angelegenheit gewesen und hatte dennoch ein schlichtes, bleibendes Muster für die Zukunft der Camorra vorgegeben.
    Die Ereignisse der Jahre 1860 und 1861 malten sogar ein noch schwärzeres Bild von der Zukunft. Marc Monnier, unser Schweizer Hotelier, sah den Beweis dafür mit eigenen Augen, während Spaventa seine Razzien durchführen ließ.
    »Ich verstehe voll und ganz: Jeder Camorrista, der verhaftet wurde, hatte einflussreiche Gönner, die ihm ein tadelloses Leumundszeugnis ausstellten. Kaum wurde einer der Geheimbündler zum Vicaria-Gefängnis gebracht, erhielt der Polizeichef zwanzig Zuschriften, deren Verfasser den ›armen Mann‹ in Schutz nahmen; die Briefe waren allesamt von ehrbaren Leuten unterschrieben!«
    Diese »ehrbaren Leute« waren vor allem Politiker, die sich mit der Camorra angefreundet hatten.
    »Vor den Wahlen verhinderten die Camorristi einige Kandidaturen; und wenn irgendein Wähler aus Gewissens- oder Glaubensgründen dagegen Einspruch erhob, beschwichtigten sie ihn mit ihren Knütteln. Mehr noch, die Camorristi gaben sich nicht damit zufrieden, einen Abgeordneten ins Parlament zu schicken und aus der Ferne sein Verhalten zu beobachten. Sie hatten ein wachsames Auge auf alles, was er tat, und ließen sich seine Reden laut vorlesen – weil sie ja selbst nicht lesen konnten. Wenn ihnen nicht gefiel, was sie hörten, empfingen sie ihn bei seiner Rückkehr aus Turin mit einem bestialischen Chor aus Pfiffen und Geschrei, der unversehens unter den Fenstern seines Hauses loszubrechen pflegte.«
    Die Ehrenwerte Gesellschaft hatte eine wichtige Lektion gelernt während der Ereignisse, die das Bourbonenregime ins Wanken gebracht und die Einigung Italiens herbeigeführt hatten: Sie wussten nun den eigenen Opportunismus mit dem Opportunismus skrupelloser Politiker zu vereinen.
    Während die Camorra einst schabengleich in den schattigsten Kellerecken des Königreichs beider Sizilien gelauert hatte, kam sie jetzt durch

Weitere Kostenlose Bücher