Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
von
Gomorrah
hatten die Behörden einige Erfolge zu verbuchen gegen die
casalesi
, wobei sie deren Macht radikal beschnitten. Im Dezember 2011 wurde Michele Zagaria, der letzte Boss der
casalesi,
verhaftet, nachdem er eineinhalb Jahrzehnte lang einer der meistgesuchten Verbrecher Italiens gewesen war. Passenderweise hatte er in seinem Bunker eine Ausgabe von
Gomorrah
liegen.
Kurzum, Savianos Buch machte die Camorra erneut zu dem, was sie schon immer hätte sein sollen: zu einem nationalen Skandal. Was künftige Historiker aus dem Phänomen Saviano machen werden, lässt sich nur erahnen. Mein Gespür sagt mir, dass seine ungewöhnliche Berühmtheit nur der auffälligste Beweis dafür ist, dass überall in Italien eine neue Generation, zu jung, um sich der ideologischen Gewissheiten des Kalten Krieges zu erinnern, neue Wege sucht, um ihr gesellschaftliches Engagement, ihre Intoleranz gegenüber Korruption und organisierter Kriminalität zum Ausdruck zu bringen. Savianos junge Leser sind Kampaniens größte Hoffnung für die Zukunft.
’Ndrangheta: Schneesturm
In den siebziger und achtziger Jahren schmuggelten die Mafias hauptsächlich Heroin, das in den neunziger Jahren vom Kokain abgelöst wurde.
Seit dem ausgehenden 19 . Jahrhundert hat das Kokain einen ähnlichen Weg genommen wie das Heroin: zunächst Arznei, dann Laster und schließlich einträgliches Geschäft. In den sechziger Jahren des 19 . Jahrhunderts erstmals erfolgreich aus Cocablättern extrahiert, wurde es zum Stärkungsmittel: Papst Leo XIII . genoss regelmäßig ein Getränk auf Kokainbasis, den Mariani-Wein, und erlaubte sogar, dass sein Konterfei auf Werbeplakaten erschien. Zu Beginn des 20 . Jahrhunderts wurde die Droge aus ihrem größten Absatzmarkt, den Vereinigten Staaten, verbannt und infolgedessen zur Einnahmequelle für die Unterwelt. Doch erst im ausgehenden 20 . Jahrhundert machte ein Sog aus einem größeren Angebot, sinkenden Preisen und steigender Nachfrage Kokain beliebter als jede andere Droge, ausgenommen Kannabis. Bald sanken die Kokainpreise so weit, dass es nicht mehr nur für die Reichen erschwinglich war. 2005 entwickelte ein pharmakologisches Forschungsinstitut in Mailand eine Technik, um den Kokainverbrauch anhand der Drogenrückstände im städtischen Müll zu messen. Die hieraus resultierenden Schätzungen deuteten darauf hin, dass der Verbrauch doppelt so hoch war wie zuvor angenommen: 30 von 1000 Personen brauchten ihre tägliche Dosis Rauschgift. Sogar Bauarbeiter schnupften, um ihre Überstunden durchstehen und danach noch ausgehen zu können. 2012 wurde bekannt, dass die Bevölkerung Brescias, einer Stadt in der Lombardei mit fast 200 000 Einwohnern, sich an jedem Tag Schnee im Wert von 625 000 Euro durch die Nase zog. Und Brescia ist nur ein Mikrokosmos. Kokain zehrt weniger an den Kräften als Heroin (zumindest kurzfristig); es kann ohne die unansehnliche Spritze konsumiert werden, ist gesellschaftlich anerkannter und steht sogar im Ruf, wenn auch zu Unrecht, nicht abhängig zu machen. Trotz intensiver Bemühungen gelang es den Behörden nicht, dem Kokain dasselbe Gefahrenpotential zuzuweisen wie dem Heroin. Die Cosa Nostra, die Camorra und die ’Ndrangheta hatten eine lukrative neue Geldquelle aufgetan.
Mafiosi aus allen größeren kriminellen Vereinigungen in Italien handeln mit Kokain, und mindestens seit den achtziger Jahren gehen sie zu diesem Zweck auch Geschäftsverbindungen untereinander ein. Giacomo Lauro, ein reuiger ’Ndranghetista, der in den achtziger Jahren im internationalen Drogenhandel involviert war, beschrieb seine Geschäfte mit sizilianischen Mafiosi und mit Camorristi vom Kaliber eines Antonio Bardellino. Bereits in dieser Phase sorgten italienische Drogenbarone für glatte Geschäftsabschlüsse, indem sie mit den südamerikanischen Erzeugern Bürgschaften austauschten. Eine prominente Familie, die dem Calì-Kartell nahestand, lebte permanent in Holland: Ihre Anwesenheit fungierte sowohl als Bürgschaft wie auch als Geschäftsposten der Kolumbianer.
In den neunziger Jahren, als der Kokainmassenkonsum gerade anlief, wurde die ’Ndrangheta marktführend im Kokainsektor. Es ist in der Tat hauptsächlich dem Kokain geschuldet, dass die ’Ndrangheta heute im Ruf steht, Italiens reichste Mafia zu sein. Drei polizeiliche Ermittlungen in Sachen Drogenhandel stellen den Aufstieg der ’Ndrangheta zu Italiens größter Schmuggelmacht vor der Cosa Nostra sehr bildlich dar.
In der Nacht
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