Omka: Roman (German Edition)
Wasser war eiskalt, aber es wurde immer wärmer, je länger ich darin lag. Die Möwe schrie, und ich sah ihre kleinen Augen wie schwarze Perlen ganz in der Nähe, sie flog um mich, und ich wusste: Jetzt ist es aus mit dir. Du sinkst auf den Grund des Wassers und verlöschst wie eine ausgeblasene Kerze und ertrinkst einfach. Und als ich diese Möwe da gesehen habe …«
Ihr war, als ob es gar nicht sie gewesen wäre, die das gesagt hatte. Sie drehte sich um und schluchzte leise. Da hatte er den Eindruck, er habe ihr unrecht getan und müsse sie jetzt trösten.
Er trat einen Schritt auf sie zu und umarmte sie so ungeschickt von hinten, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Er war sich sicher, dass er das Richtige tat, wenn er sich entschuldigte und sie tröstete. Aber nachdem sie sich ihm erklärt hatte, zitterten seine Hände bei dem Gedanken, dass sie wirklich vor seinen Augen ohne eine Regung ein Tier getötet hatte, aus einem nichtigen Grund und mit einem kalten, leeren Blick, und er erschauderte.
»Nein, es war wegen mir«, sagte Omka. »Ich habe Angst bekommen, ich weiß auch nicht, was es war.«
»Es ist schon gut«, sagte er.
Und sie gingen nach Hause.
Am nächsten Morgen rief die Polizei an. Die Beamten sagten, es habe sich noch niemand gemeldet wegen Omka und man würde jemanden schicken, der noch ein Foto von ihr machen würde, das dann in die überregionalen Zeitungen käme. Je größer die mediale Präsenz, desto höher die Wahrscheinlichkeit, ihre Angehörigen würden sie wiedererkennen, auch wenn sie von weit her sei. Die überregionalen Zeitungen würden mehr Leute erreichen.
Sie saß in einem Gartensessel und trank Tee auf der Terrasse. Das Haus hatte keinen Garten, weil man die Parzelle, auf der das Haus stand, seinerzeit geteilt hatte, um sie bebauen zu können. Deshalb stand das alte Haus inmitten einer kleinen Siedlung aus neuen Einfamilienhäusern am Stadtrand, die Gegend war ruhig und dementsprechend wohnten hier wohlhabende Leute.
»Ich kann doch nicht ewig hierbleiben«, sagte Omka in ihrem Sessel sitzend, die Teetasse in der Hand. »Was mache ich, wenn mich niemand erkennt?«
Von seiner Schwester bekam er abgetragene Kleidung für Omka, die ihr passte.
»Woher kommt eigentlich dein Name«, fragte er beiläufig. »Er klingt polnisch irgendwie oder slawisch oder etwas in der Art.«
»Ach«, sagte sie, »meine Mutter war, als sie mit mir schwanger war, auf Urlaub in einem Ort, der so hieß, in Russland – Nizhnyaya Omka an der Grenze zu Kasachstan. Es war eine sehr unglückliche Schwangerschaft, und dort hat sie mich zum ersten Mal gespürt, und da beschloss sie, dass alles gut werden würde. Deshalb heiße ich Omka.«
Plötzlich stand sie auf und ließ ihre Teetasse fallen.
Kapitel II Ich erinnere mich
In der nächsten Zeit musste Omka manchmal ins Krankenhaus zu Routineuntersuchungen. Man wollte wissen, ob sie den Schock verkraftet hatte, nahm ihr immer wieder Blut ab und schickte sie auch auf die Gynäkologie und die innere Medizin.
Als sie Josef abends abholte, sagte sie, der Gynäkologe habe ihr gesagt, dass es keine Anzeichen für eine erfolgte Geburt an ihr gebe, sie also nach höchster Wahrscheinlichkeit keine Kinder habe. Er fragte sie, ob sie das traurig finde, und sie sagte ja. Trotzdem war es ihm irgendwie zumute, als hätte jemand eine Last von ihm genommen, er schämte sich aber dafür, dass er sich insgeheim freute, dass sie keine Kinder hatte, weil das etwas ganz anderes für ihn bedeutete.
»Musst du nicht mehr her?«, fragte sie ihn.
»Nein«, sagte er »ich war schon einmal bei der Nachkontrolle. Sie haben gesagt, alles verheilt gut.«
Sie lachte kurz auf und fasste vorne an sein Hemd, an dem ein Knopf in der Mitte aufgegangen war, und legte ihren Finger kurz an die Narbe. Ihre Augen weiteten sich. »Weißt du nicht mehr, wie die Krankheit überhaupt heißt«, fragte sie ihn.
»Nein«, sagte er. »Das Blut nimmt zu wenig Sauerstoff auf, sagten sie mir. Jetzt habe ich auf jedem Lungenflügel einen Schrittmacher. Dass meine Lunge Schritte macht, hab ich mir vorher noch nie vorgestellt«, sagte er, und sie lachte.
»Du wolltest also an der Luft ersticken«, sagte sie.
Er glaubte erst, er habe sie falsch verstanden. Er sah weg, sah sie wieder an, und ihr fragender Blick war auf ihn gerichtet.
»Nein, ich …«, sagte er, »aber nein, Deshalb habe ich mich ja operieren lassen.«
»Aber eigentlich wolltest du ersticken«, sagte sie noch einmal.
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