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Omka: Roman (German Edition)

Omka: Roman (German Edition)

Titel: Omka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Aschenwald
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gab es Nachrichten.
    »Fische haben doch keine dunklen Augen«, sagte sie und sah ihn an. Die Knöpfe an seinen Ärmeln waren offen, an seinem Kinn war ein orangefarbener Fleck. Sie beobachtete ihn, wie er sehr aufmerksam sein Frühstücksei aß. Sein gutes, helles Hemd war mit einer Stoffserviette bedeckt, die in seinem Krawattenbund verschwand, er hob langsam die Hand mit dem Löffel, worauf das zitternde und schleimig aussehende Eiweiß war, seine Augen waren weiter geöffnet als sonst, und er führte den Löffel langsam und konzentriert zum Mund, und trotzdem fiel manchmal ein Tropfen auf die Serviette. Die Finger seiner linken Hand spielten nervös mit seinem Kragenknopf. Er war ein schöner Mann, kam ihr aber in diesem Moment und mit dem orangefarbenen Fleck am Kinn plump vor und gewöhnlich, und sie dachte, dass schließlich nicht jeder Mensch etwas Besonderes sein konnte.
    »Mir ist kalt«, sagte sie dann.
    »Ich muss jetzt zur Arbeit«, sagte er, »lass dir doch ein heißes Bad ein.«
     
    »Bonn/Bad Honnef«,
sagten sie im Radio,
»im Prozess gegen die Pflegeeltern Petra und Ralf W., die ihre neunjährige Pflegetochter Anna in der Badewanne ertränkt haben, gibt es neue Erkenntnisse. So wurde gestern festgestellt, dass die psychiatrischen Gutachten, die bescheinigten, das Kind zeige autoaggressives Verhalten und verletze sich selbst, ausgestellt wurden, ohne das Kind jemals persönlich in Augenschein genommen zu haben. Besorgte Nachbarn, die schon vor einiger Zeit die Schreie des Kindes vernommen hätten, hätten mehrmals das Jugendamt angerufen, es sei jedoch nichts geschehen. Das Gericht prüft, ob diese Fahrlässigkeit zum Tod der kleinen Anna geführt hat.«
     
    Omka hatte zugehört. »Daraus kann man dem Jugendamt keinen Strick drehen«, sagte sie, »auch wenn ein Kind augenscheinlich sexuell missbraucht wird, hat das Jugendamt keinen Handlungsbedarf, weil innerfamiliäre Angelegenheiten immer im Sinne der Kinder geregelt werden müssen.«
    Er sah sie erstaunt an. »Wie meinst du das?«, fragte er sie.
    »Ich meine, dass das höchste Wohl immer der Schutz der Familie ist, und das Jugendamt muss abwägen, inwieweit zum Beispiel eine unbelegte Missbrauchsbehauptung zu überprüfen gerechtfertigt ist, denn wenn man das nicht beweisen kann, zieht das massive innerfamiliäre Probleme nach sich, allein schon durch den erhobenen Vorwurf. Das ist hier wahrscheinlich das Gleiche. Jemand hört das Kind schreien, die Pflegemutter sagt, das Kind ist gestört, weil die Mutter zum Beispiel Alkoholikerin war und es Angst vorm Wasser hätte, und das Jugendamt geht davon aus, dass …«
     
    Plötzlich hört sie auf zu reden und schaut in die Luft.
    Dann sieht sie ihn an.
    »Ich bin Rechtsanwältin«, sagt sie.
     
    In dem Moment fiel ihm die Möwe wieder ein und der leere Blick von Omka. Das passt irgendwie zusammen, dache er. Und aus Gründen, die er sich selbst nicht erklären konnte, war er auf einmal stolz auf sie.
    »Ich dachte schon, dass du eine solche bist«, sagte er, ohne viel nachzudenken.
    »Eine solche? Was für eine?«, fragte sie und lachte.
    »Na, eine ganz Knallharte. Eine emanzipierte, selbständige, junge Karrierefrau, meine ich natürlich«, sagte er, umarmte sie und wirbelte sie herum, und sie lachten beide.
    »Du bist gemein«, sagte sie und biss ihm leicht ins Ohr.
    Sie küssten sich. Er sah das Muttermal an ihrem Hals an und freute sich, wusste aber nicht warum. Ein Stück der Leichtigkeit war wieder da.
     
    Am Nachmittag, als er bei der Arbeit war, ging sie zum See, an dessen Ufer man sie gefunden hatte, und setzte sich auf die scharlachfarbene Bank. Von dort aus konnte man fast den ganzen See überblicken. Auf dem Weg dorthin hat sie einen kleinen Stein aufgehoben und die ganze Zeit mit sich getragen. Sie dachte lange nach. Dann warf sie den Stein ins Wasser. Schon als Kind hatte sie sich immer vorgestellt, dass dort, wo der Stein einschlug, in der Mitte der sich ausbreitenden Ringe, etwas auftauchen könnte, der Kopf eines Mannes wie im Märchen vom Jäger und der Nixe oder die Hand einer Meerjungfrau oder eine Seeschlange, die aus dem Wasser schaut. Sie dachte lange nach. Dann schaute sie auf, der Himmel war grau mit den gleichen rosa Wolken wie an dem Tag, als sie zum ersten Mal in Josefs Haus übernachtet hatte. Es kam ihr sehr lang vor, dass sie schon bei ihm war, und sie dachte, das sei ein gutes Zeichen. Obwohl ihr immer wieder der ekelhafte Gedanke kam, dass er eigentlich nichts

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