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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Junggesellenabschiedsgruppen, deren Zahl in den letzten Jahren ins Unermessliche gestiegen war, kommen besoffen und grölend in Strapsen oder Hühnerkostümen in die Bahn gestunken und wollen einen zu schwachsinnigen Spielen animieren. Ein bescheuerter Trend, der aus Köln, der Hauptstadt der Vulgarität, nach Berlin geschwappt zu sein schien. Bleibt bloß weg! Rumänische Akkordeonmafia: Fangt hier nicht mit eurer Betrügermusik an, sonst zertrete ich eure Quetschkommode, und ihr müsst eure immer gleiche Scheißmelodie in Zukunft auf dem Kamm blasen. Obdachlosenzeitungsverkäufer: Quatscht mich nicht mit eurem Jammerton an. Ich weiß, dass es nicht schön ist, obdachlos zu sein. Dafür muss ich keine Zeitung kaufen, die mir das jeden Monat aufs Neue erzählt.
    Ich setzte mich neben eine Mutter und ihre vielleicht achtjährige Tochter. Fang jetzt bloß nicht an zu quengeln, du dämliches Balg, sonst kann ich für nichts garantieren.
    Ohne Unterlass quatschte die Mutter auf ihre Tochter ein.
    »Siehste«, sagte sie, als die S-Bahn über die Spree fuhr und zwischen Bode- und Pergamonmuseum die Museumsinsel überquerte. »Jetzt fahren wir über die Havel.«
    Ach du liebe Zeit!
    »Guck mal, die ganzen Schiffe! Mit denen fahren die Leute jetzt von der Arbeit nach Hause.«
    Genau! In Berlin wohnen die Menschen bekanntermaßen auf Inseln – auf den Regenbogeninseln weit draußen im stillen Nebelsee, wo sie mit den Hobbits und den Elfen in friedlicher Eintracht in ihren Hüttendörfern leben und jeden Tag auf dem Dorfplatz ein Fest feiern, Wildschweine grillen, Met trinken, die Laute schlagen und Tanderadei singen.
    »Und da drüben, da stand früher mal ein Schloss. Da hat der König von Deutschland drin gewohnt.«
    Ach was! Rio Reiser oder wer?
    »Guck mal, da fährt ein Trabbi«, sagte die Mutter und zeigte auf einen vorbeifahrenden Mini. »Das ist das Auto, das die in der DDR alle gefahren sind. Die hatten nämlich kein Geld, deshalb gab es für die nur so kleine Autos.«
    »Der sieht aber lustig aus«, sagte das Mädchen.
    »Nein, der sieht nicht lustig aus, Jessica. Das war ganz schlimm damals. Da gab es nur diese Autos. Stell dir mal vor, wir müssten in so einem kleinen Auto in Urlaub fahren. Da könnten wir den Wuffi gar nicht mitnehmen. Und für den Papa wäre das auch viel zu eng mit seinen langen Beinen.«
    »Aber der Papa fährt doch jetzt sowieso immer mit dieser anderen Frau in Urlaub.«
    »Ja, äh … aber das wäre trotzdem zu klein.«
    Es tat so weh!
    »Siehste, das ist der Fernsehturm. Der heißt so, weil der so viele Fernsehsender empfängt.«
    Jetzt war es genug.
    »Erzählen Sie dem Kind doch nicht so einen Quatsch«, brach es aus mir heraus.
    »Bitte?«, sagte die Mutter sehr erstaunt. »Was wollen Sie denn?«
    »Glauben Sie, da oben sitzen lauter Leute rum und gucken fern? Weil man da auch Al Jazeera bekommt, oder was? Na klar, die DDR hat da ein 368 Meter hohes Ding hingestellt, nur damit ein paar Typen da ›Ein Kessel Buntes‹ gucken und Salzstangen fressen können. Wie bekloppt sind Sie eigentlich?«
    »Dann sagen Sie mir doch mal, warum der Turm so heißt.«
    »Das weiß ich doch, Mama«, sagte das Mädchen. »Das hat der Mann in dem Bus gestern doch erklärt. Da stehen die Antennen drauf, und was wir im Fernsehen sehen, das kommt von da.«
    »Sehen Sie! Sogar Ihr Kind weiß das, aber Sie erzählen ihm Schmonzes. Was erzählen Sie denn noch? Dass im Alten Museum der Alte Fritz wohnt, oder was? Oder dass das Pergamonmuseum aus Pergament ist? Halt, ich weiß was Besseres: Der Checkpoint Charlie war der Grenzübergang für alle, die Charlie hießen. Ha! Wenn man Billy, Johnny, Faruk oder Nebukadnezar hieß, konnte man da nicht rübergehen.«
    »Und im Reichstag sind die Leute alle ganz reich«, sagte das Mädchen.
    »Gut!«, sagte ich. »Also, das stimmt jetzt wirklich. Und am Hackeschen Markt sind die Leute alle ganz hacke. Aber glaub bloß nix, was deine Mutter dir erzählt. Die redet mehr, als sie weiß.«
    »Haahaa! Mama hat was Falsches erzählt, hihihi. Du weißt nämlich doch nicht alles. Ätsch!«
    »Jessica!«
    Das Mädchen begann zu singen:
    »Mama isn Doofi! Mama isn Doofi!«
    »Jessica Charlotte! Du hörst jetzt auf!«
    »Na-hein, na-hein. Mama isn Doofi.«
    »Jetzt sehnse, was Sie davon haben«, sagte ich. »Und das nächste Mal passen Sie ein bisschen besser auf, was Sie Ihren Kindern erzählen. Irgendwann werden die nämlich erwachsen und glauben das immer noch. Und dann gehen sie

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