On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Anlegestelle Friedrichstraße.
»Klaus, manchmal glaube ich, ihr Berliner seid einfach das unfreundlichste Volk der Welt.«
»Halt die Fresse, du Arschloch! Dit stimmt überhaupt nicht.«
»Außerdem seid ihr kleinkarierte Dorfdeppen. Bei dir zählt ja noch das Blutrecht. Wer nicht gebürtiger Berliner ist, ist für dich grundsätzlich ein Mensch zweiter Klasse und hat schon mal gar nichts zu melden.«
»Dit muss ick mir von nem Schwaben wie dir nich sagen lassen!«
»Kannst du mal mit diesem Klischeeberlinertum aufhören? Ich meine, du kannst die Touristen nicht leiden, du berlinerst, du machst alberne Sprüche. Wie weit soll das denn noch gehen? Wenn man dich in einen Film stecken würde, würde jeder Kritiker sagen: So ein Klischeeschwachsinn, solche Leute gibt es doch gar nicht.«
»Ich versteh nich, was du fürn Problem hast?«
»Guck mal, ich kenn da einen Griechen, Dimitri, der betreibt am Bahnhof Lichtenberg das Chinarestaurant Venezia. Der pfeift auf diesen ganzen Kram. Der ist zwar Grieche, aber du würdest den nie Sirtaki tanzen sehen, mal ganz abgesehen davon, dass Sirtaki gar kein richtiger griechischer Tanz ist, sondern nur für den Alexis-Sorbas-Film erfunden wurde.«
»Boah, wie du dich auskennst, Alter!«
»Der isst kein Gyros, der trinkt keinen Ouzo, der hat an seinem Hemd maximal einen Knopf offen, der trägt kein Goldkettchen, der hat sich die Haare blond gefärbt und fährt ein Liegefahrrad. Der scheißt auf die Klischees. Da müssen wir hinkommen! Du kannst doch nicht ständig diese Klischees bedienen, dann wird sich nie was ändern.«
»Ich bediene keine Klischees, ich bediene Touristen, und das ist schon schlimm genug.«
»Siehste, siehste!«
»Was ist denn mit dir? Bist du etwa kein Klischeewessi?«
»Nein, bin ich nicht. Wenn ich ein Klischeewessi wäre, würde ich zu Hause in Frankfurt sitzen und auf den Osten schimpfen. Faule Ossis, kosten nur Geld, sind undankbar und wählen immer noch SED .«
»Nee, du kommst hierher und beschwerst dich darüber, dass die Leute hier anders drauf sind als in deinem Dorf. Dafür wohnst du in unseren Häusern, nimmst uns die Arbeit weg und rufst die Polizei, wenn im Hinterhaus zu laut gefeiert wird. So sind die Wessis drauf, die ich kenne, und deshalb bist du ein Klischeewessi. Tut mir leid. Isso.«
»Wenigstens bin ich aus meinem Kaff rausgekommen und sitze nicht immer noch da rum, wo ich geboren bin, und bin da auch noch stolz drauf.«
»Und bis wohin hastes geschafft? Nach Berlin. Spitzenleistung!«
»Ich habe halb Europa bereist.«
»Und was haste da gemacht?«
»Bin rumgefahren und hab mir Sachen angesehen.«
»Sag doch gleich Urlaub. Toll! Bist voll der Kosmopolit, wa? Weißte, andere Leute in deinem Alter haben schon ein Jahr in den USA und ein Jahr in Südamerika verbracht. Und du findest dich super, weil du mit Rainbowtours zum Kiffen nach Amsterdam gefahren bist und dich aufm Campingplatz mal mit zwei Negern unterhalten hast. Super, Alter!«
»Ich bin Stadtbilderklärer. Ich unterhalte mich jeden Tag mit mehr als zwei Schwarzen.«
»Ein Stadtbilderklärer, der noch nie länger aus Deutschland weg war als für drei Wochen Cluburlaub.«
»Klaus, nur weil du –«
»Ach komm, erzähl mir doch nüscht! Du kommst hierher und erzählst uns, was hier alles doof ist und wie wir zu leben haben. Kollege, ich verrat dir ein Geheimnis: Du bist zwar im Osten, aber die Mauer ist offen. Geh doch rüber, wenns dir hier nicht passt! Auf sone Leute können wir hier verzichten.«
»Also … Klaus! Das … das find ich jetzt gar nicht witzig, was du da gerade gesagt hast.«
»Da gehts doch schon wieder los. Ihr Wessis, ihr haltet euch für so supertoll und weltgewandt, aber wenn man mal was kritisiert, dann seid ihr immer gleich eingeschnappt.«
»Also … also … Jetzt hör mir mal … Also, mit dir kann man sich ja wirklich nicht unterhalten.«
»Siehste.«
»Ich geh jetzt wieder rein.«
»Tschö!«
Und wenn du noch was wissen willst, dann fragst du einfach
J etzt war ich auch sauer. Danke, Klaus. Klaus war ein Arschloch, der Job bald zu Ende, und zu Hause saß die seit Wochen schlecht gelaunte Anna und gab sich Mühe, mir aus dem Weg zu gehen. Das waren ja feine Aussichten.
Ich stieg an der Friedrichstraße in die S-Bahn. Wenn man richtig schlecht gelaunt ist, ist nichts schlimmer, als öffentliche Verkehrsmittel benutzen zu müssen. Menschen stehen im Weg herum, rempeln einen an oder sehen einfach nur scheiße aus.
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