One Night Wonder
einen attraktiven nackten Körper, der danach wieder nach Hause geht, und keine neue Beziehung. Ich wusste nicht, wie man das seinem Gegenüber klarmachen sollte.
Meine ersten Versuche sind so katastrophal verlaufen, dass ich mich bemühe, sie zu verdrängen. Stottern ist ja nun wirklich nicht sexy. Mein »Opfer« war da wohl der gleichen Meinung. Extreme Körperbehaarung allerdings auch nicht. Was zu dem Fazit führt, dass man Männern zwar ins Gesicht sehen kann, selten aber in die buschig behaarten Achselhöhlen, die sich mit einem Langarmshirt gut verstecken lassen. Ich finde das weder exotisch noch retro, sondern einfach nur eklig. Und wer jemals behauptet hat, Sex im Auto wäre kein Problem, hat noch nie in einem Mini gehangen. Mit verknoteter Strumpfhose um die Beine und einem schwitzenden Musikstudenten, der noch in Oberhemd und Pullunder steckt, auf einem drauf! Na ja, man lernt dazu. Ich jedenfalls. Wenn man aber so tut, als wäre das Ansprechen das Normalste der Welt, hat es schon den größten Teil seines Schreckens verloren. Stimmt die Chemie, könnte man auch Aktienkurse zitieren.
Ich schlafe mit den Jungs, mehr aber nicht. Keine Telefonnummern, kein zweites Mal, das ist der Plan. Hinterher muss ich Jule immer Bericht erstatten. Am Anfang fand sie es sehr beunruhigend und hielt mein Vorgehen für eine verrückte Idee, um von Mark loszukommen. Ich habe ihr erklärt, dass ich kein Mark-Trauma habe, sondern mich einfach nur langweile, aber keine neue Beziehung will. Und dass ich auch kein Beziehungstrauma habe, sondern eher das Gefühl, mich nicht wieder direkt auf jemanden so intensiv einlassen zu können. Ich lasse mich treiben, weil ich es nicht eilig habe. Und ich halte erst mal an meinem Plan fest, auch wenn das heißt, dass lediglich die Couch mit mir kuschelt.
Ich glaube, Jule findet es immer noch komisch, aber sie hat wenigstens aufgegeben, es mir ausreden zu wollen. Sie macht sich viel zu viele Sorgen. »Was ist denn, wenn dich jemand entführt oder in seinem Keller einsperrt oder dich sogar umbringt?«, gibt sie zu bedenken. Als würde die ganze Welt nur aus Meuchelmördern bestehen, wenn man als Frau alleine unterwegs ist.
*
Gedankenverloren schiebe ich die Konzertkarte auf dem Schreibtisch hin und her. Lukas heißt er, der Drummer. Im Internet gibt es ein einziges Video von der Band – in schrecklicher Live-Qualität.
Ich habe mit zusammengekniffenen Augen vor dem PC-Bildschirm geklebt und versucht, ihn in all dem Pixelsalat herauszufinden. Es war nicht wirklich zufriedenstellend. Zum Glück sind die Fotos von ihnen etwas besser. Eins davon habe ich als Hintergrundbild auf meinem PC gespeichert. Zuerst war ich mir selber peinlich und habe es wieder gelöscht, doch dann habe ich mir gedacht: Warum denn nicht? Seitdem schmückt der Drummer meinen Bildschirm. Er sieht einfach nur gut aus. Ob er überhaupt mit mir reden wird? Entschlossen schiebe ich die Karte unter meinen Timer.
Es wird Zeit für etwas mehr Produktivität! Zu viel an diesen Lukas zu denken ist sowieso nicht gut. Wenn es nicht klappt, bin ich bodenlos enttäuscht. In dem Papierstapel zu meiner Linken suche ich nach dem Zettel mit den Physik-Hausaufgaben. Wie versprochen, schicke ich Trudi die Aufgaben, dann rutsche ich ein wenig unschlüssig auf meinem Schreibtischstuhl herum.
An meinem Fenster wirbeln bunte Blätter vorbei, was mich auf eine fabelhafte Idee bringt: Ich sollte spazieren gehen! Dabei kann man wunderbar seine Gedanken sortieren, und außerdem tut frische Luft ja bekanntlich generell gut. Also, schnell den Parka und die Docs an und raus. Nicht weit weg von meiner Wohnung gibt es einen kleinen Park, der von der Stadtverwaltung anscheinend vergessen worden ist. Das Gras steht gut einen halben Meter hoch, die alten Bäume mit ihren verwitterten Rinden biegen sich unter dem Laub ihrer Herbstblätter, und die ehemals dunkelroten Aschenwege sind kaum noch als solche zu erkennen. Kinder haben Laub gesammelt und zu hohen Bergen aufgetürmt, in die sie nun hineinspringen.
Meine Füße gehen durch ein buntes Potpourri aus Blättern, Matsch und Abfall. Wer noch weiß, wo sich die Wege befinden, ist klar im Vorteil. Grade als ich auf halber Strecke angekommen bin, fängt es an zu regnen. Das scheint übrigens ein Wettergesetz zu sein: Immer wenn es anfängt zu regnen, ist man gerade am weitesten vom trockenen Heim entfernt. Zum Glück bin ich nicht aus Zucker.
Ich will endlich mit dem Thema Mark abschließen! Von
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