Onkel ist der Beste
Schafe im Wert von vierhundert Pfund gestohlen, wenn man die heutigen Preise rechnet«, beharrte der junge Mann.
»Er war immer so gut zu den Tieren«, wandte Dora ein. »Er hat mir bei Cyrils Beinverletzung geholfen, und Cyril hat nie versucht, ihn zu beißen.«
»Was nur beweist, was für ein Idiot der Hund ist«, neckte Judy sie, doch ihr Onkel dachte an die vierhundert Pfund und fragte: »Ist ihm die Polizei nicht auf die Spur gekommen?«
»Nein«, mußte Dora betrübt zugeben, »weil er sich nach Australien abgesetzt hat. Er sagte damals, seine Schwester in Brisbane liege im Sterben. Ich glaube, er hat gar keine. Er hat mir aber ein wunderschönes Buch über das Große Barrier-Riff geschickt«, sagte sie schon besser gestimmt und offenbar der Ansicht, daß damit alles gutgemacht wäre.
Dies entlockte allen ein Lächeln, und Judy meinte: »Onkel Robert, jetzt siehst du, wie Mutter wirklich ist. Hoffnungslos wohlmeinend. Bei einem neuen Verwalter müssen wir höllisch aufpassen, weil sie ihm bis auf Tierquälerei und Mord alles verzeihen würde. Und falls er einen Mord begeht, sagt sie womöglich, der Ärmste habe im Affekt gehandelt.«
Dora antwortete sanft: »Liebling, du übertreibst. Und beim Geschirrspülen wirst du mir nicht helfen. Du bist seit fünf Uhr morgens auf den Beinen und schrecklich müde. Geh und leg dich mit einem Buch hin.«
Judy ging gehorsam hinaus, und als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, bemerkte Alan ziemlich kläglich: »Wenn ich das gesagt hätte, hätte sie mir den Kopf abgerissen. Warum trete ich immer ins Fettnäpfchen?«
Dora lächelte ihm freundlich zu und sagte nur: »Mütter zählen gar nicht. Aber du, Alan, kennst doch Judy zu gut, als daß du es ernst nehmen müßtest, wenn sie manchmal gereizt ist. Das bedeutet bei ihr doch nur, daß sie müde ist und sich Sorgen macht.«
Robert hätte gern hinzugefügt: »Und hör endlich auf, sie zu bemitleiden. Das Kind ist allergisch gegen Mitleid.«
Da er aber nur ein alter Onkel war, begnügte er sich damit, sich ans Geschirrspülen zu machen. Er mußte um jeden Preis vermeiden, sich in die Angelegenheiten anderer zu mischen.
5. Kapitel
Am Tage nach der Beendigung der Schafschur, als die Männer ihr Bündel schnürten, entdeckte Robert das Fehlen seines goldenen Zigarettenetuis. Da er ein Mensch mit pedantischen Gewohnheiten war, wußte er genau, wo er es liegen gelassen hatte.
»Auf dem Tischchen unter meinem Fenster«, sagte er zu Dora, die sich mit Judy in der Küche aufhielt. »Dort habe ich es hingelegt, als ich zum Frühstück ging.«
»Das wunderschöne Etui, das dir die Schüler zum Abschied geschenkt haben«, rief Dora beunruhigt aus. »Onkel, das ist ja schrecklich! Was sollen wir machen?«
»Die Polizei anrufen«, begann Judy und zögerte dann mit hochrotem Gesicht.
Robert erklärte mit Entschiedenheit: »Ruf auf keinen Fall die Polizei. Sag niemand ein Wort. Mir wäre es fast lieber, das Etui bliebe verschwunden. Mir ist es immer zu protzig vorgekommen, aber die Jungen haben es selbst ausgesucht, und um ihretwillen schätze ich es. Jedoch nicht so sehr, daß ich die Polizei einschalten möchte. Die verdächtigt womöglich den Falschen.«
Judy faßte mit einer ihrer impulsiven Gesten nach seiner Hand. »Du bist ein Schatz! Du bist also sicher, daß es nicht Terry ist? Viele wären da zu einer anderen Ansicht gelangt.«
»Ich urteile nicht vorschnell, Judith«, wehrte er ab und entzog ihr verlegen die Hand. »Und ich schmeichle mir, bis zu einem gewissen Grad Menschenkenner zu sein. Ich bin völlig sicher, daß Terence dabei seine Hand nicht im Spiel hat.«
»Dann hast du also auch das Gefühl, daß er absolut geheilt ist?« sagte Dora glücklich.
Ihr Onkel sprach langsam und wog seine Worte ab, wie es seine Art war: »Dora, ich fürchte, so weit kann ich nicht gehen. Im großen und ganzen stimme ich mit Judiths Theorie überein, Terry könne vielleicht aus einem Grund stehlen, den er fälschlicherweise Jux nennt, oder um seine Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen, aber er würde nie Eigentum dieser Familie anrühren. Mir sind ähnliche Fälle schon begegnet. Dabei spielt Eitelkeit immer eine große Rolle. Wie dem auch sei, ich bin sicher, daß er keine Ahnung von meinem Zigarettenetui hat.«
In diesem Augenblick trat Terry ein, schloß die Tür hinter sich und zog mit gewinnendem Lächeln das Etui aus der Tasche. Dora starrte ihn an, und Judy rang sich ein verlegenes Lachen ab,
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