Onkel ist der Beste
sein Einschreiten kaum erforderlich. Nachdem er den Sechzigjährigen mit freundlicher Bestimmtheit abgewiesen hatte, zerstörte er die hochfliegenden Pläne eines Jungen von neunzehn Jahren, der behauptete: »Je jünger, desto besser für eine Farm mit viel Arbeit«, und die eines Bewerbers, der sich offenbar vor dem Anruf Mut angetrunken hatte und dauernd erklärte, er habe »höhere Schulbildung und lese viel«.
Als ihre Stimmung immer mehr sank, kam die einzig mögliche Antwort auf die Anzeige. Sie saßen eben beim Frühstück und stellten trübsinnige Betrachtungen über die Wahrscheinlichkeit an, ohne Verwalter zu bleiben, bis es im Winter mehr Arbeitskräfte gäbe, als das Telefon schrillte und Judy meldete: »Ein Ferngespräch. Wir wollen hoffen und beten... Komm, Onkel. Spiel deine Rolle.«
Es war eine angenehme Stimme, frisch und sachlich. »Ich beziehe mich auf Ihre Anzeige« — wenigstens konnte er sich gewählt ausdrücken, überlegte Robert. Die Stimme fuhr fort: »Ich möchte mehr darüber wissen.«
Robert warf einen Blick auf den Zettel, auf dem er sich als Vorsichtsmaßnahme ein paar Notizen gemacht hatte, die er bis jetzt noch nicht gebraucht hatte. Er gab die Größe der Farm an, sprach offen über die steilen Hänge und das wuchernde Unkraut, über das rauhe Westküstenklima und die Entfernung von der Stadt, bis Judy ihm ins Ohr flüsterte: »Schrecke ihn nicht ab.« Er brachte sie mit einem Stirnrunzeln zum Schweigen und wandte sich nun angenehmeren Seiten zu, dem komfortablen Haus, den zwei tüchtigen Hilfskräften, den vielen freien Stunden, außer wenn beim Vieh zusätzliche Arbeit anfiel.
Nachdem dies alles höflich, aber ohne unpassende Begeisterung aufgenommen worden war, sagte Robert: »Würden Sie mir jetzt Einzelheiten über Ihre Eignung mitteilen?«
Wieder war die Information kurz und treffend: »Ich bin siebenundzwanzig, bin auf der Schaffarm meines Vaters aufgewachsen und habe auf zwei anderen gearbeitet. Zuerst war ich Schafhirt, dann Verwalter. Name und Adresse meiner Arbeitgeber kann ich Ihnen geben. Ich besitze zwei gute Pferde und zwei gutausgebildete Hunde, die für eine Farm dieser Größe ausreichen müßten. Mich reizt zur Abwechslung das Hinterland. Ich nehme an, daß ich die allgemein anfallende Arbeit zu tun hätte. Ich bin erst in vierzehn Tagen frei verfügbar, könnte mich aber kommendes Wochenende freimachen und Sie und die Farm kennenlernen.«
»Eine ausgezeichnete Idee. Darf ich noch erwähnen, daß ich nicht Eigentümer der Farm bin, sondern nur der Onkel Mrs. Moores? Meine Nichte wird Ihnen genau angeben, wie Sie zu uns finden.«
Judy sprang auf und kam damit der langsameren Dora zuvor.
»Möchte doch wissen, wie er sich anhört«, murmelte sie, als sie den Hörer entgegennahm.
Als sie einige Minuten später auf legte, sagte sie: »Wunderbar bis jetzt. Fast zu schön, um wahr zu sein. Hoffen wir, daß er nicht zu schön ist. Er will am Sonntagmorgen kommen und sich die Farm ansehen. Gottlob kann er nicht über Nacht bleiben. Wenn er uns nicht gefällt oder nicht bleiben will, brauchen wir uns nicht den ganzen Abend anzustarren und anzugrinsen. Ich hoffe ja so, daß er so nett wie seine Stimme ist.«
»Woraus ich entnehme, daß er keine der üblichen schrecklichen Neuseeland-Stimmen hat«, bemerkte Terry boshaft, und Dora blickte ob des kritischen Tones erstaunt. Sie hoffte sehr, daß Terry, der mit Alan Winter auf freundschaftlichem Fuß stand, dem neuen Verwalter keine Schwierigkeiten machen werde. Wie gut der Mann auch sein mochte, sie wollte keine Perfektion, die zu Lasten der Harmonie ihres Heimes ging.
Colin Chapman kam am Sonntag pünktlich um elf Uhr an. Die erste Überraschung war sein Wagen, ein neues Modell, sehr stark und sehr gepflegt. Achselzuckend sagte sich Robert: »Für einen arbeitenden Menschen zu aufwendig« und bewies damit eine bedauernswerte Unkenntnis Neuseelands und einen Mangel an demokratischen Prinzipien. Das nächste war die Erscheinung des jungen Mannes selbst, als er dem Wagen entstieg. Groß, elegant, außergewöhnlich hübsch, mit sorgfältiger Lässigkeit in Reithosen und Sportjacke gekleidet. Der neue Bewerber bewirkte, daß sie sich alle genierten. Sogar Terrys gutes Aussehen, sein flotter, aber einziger Anzug würden bei einem Vergleich leiden, und Alan Winter würde neben diesem Adonis eine sehr unscheinbare Figur abgeben. Und was Judy betraf, so lief es Robert kalt über den Rücken, wenn er daran dachte, welche
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