Onkel Robinson
Meuterer stürzten sich auf ihn. Den einen konnte er niederschießen, aber es gelang ihm nicht, den Stangenhieb abzuwehren, den der andere ihm so heftig auf den Kopf versetzte, daß er über Bord fiel. Das kalte Wasser brachte ihn wieder zu Bewußtsein. Er kam wieder an die Oberfläche, öffnete die Augen und sah, daß die
Vankouver
schon einige Taulängen entfernt war. Da vernahm er ein Bellen. Es war Fido; der kräftige Neufundländer schwamm an seiner Seite und war ihm ein wertvoller Halt.
Von der Flut wurde er aufs Land zugetrieben. Aber dennoch war die zurückzulegende Strecke groß. Der verletzte, geschwächte Harry Clifton kämpfte zwanzigmal gegen den Tod. Doch zwanzigmal hielt ihn sein treuer Gefährte über Wasser. Nach langem Ringen spürte der von der Strömung begünstigte Clifton endlich festen Sand unter den Füßen. Mit Hilfe von Fido schleppte er sich auf eine Düne außer Reichweite der Wellen, und dort wäre er wohl verhungert, wenn Flip, von dem Hund geführt, ihn nicht schließlich entdeckt hätte. Als Harry Clifton mit seinem Bericht zu Ende war, ergriff er Flips Hand und drückte sie.
»Könnten Sie uns bitte noch mitteilen, Monsieur«, sagte der Seemann, »an welchem Tag Sie die
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und ihre Ladung Halunken verlassen haben?«
»Am 23. April, mein Freund.« »Aha!« erwiderte Flip. »Da heute der 1. Mai ist, haben Sie also acht Tage lang auf dieser Düne gelegen und auf den Tod gewartet! Und ich habe nicht das geringste davon geahnt! Was für ein Tölpel ich doch bin!«
Als Harry Clifton nun aber seine Geschichte fertigerzählt hatte und von seiner Frau und seinen Kindern erneut mit Liebkosungen überschüttet worden war, äußerte er den Wunsch, ein heißes Getränk zu sich zu nehmen.
Alle blickten betroffen drein. Mrs. Clifton erbleichte. Sollten sie dem Kranken gestehen, in welcher Notlage sich die Familie befand? Flip hielt den Zeitpunkt dazu noch nicht für gekommen und bedeutete Mrs. Clifton, sie solle nichts sagen. Dann beeilte er sich, dem Ingenieur zu antworten.
»Sehr wohl, Monsieur«, sagte er mit seiner fröhlichen Stimme, »ein heißes Getränk! Selbstverständlich! Ausgezeichnete Idee! Etwas Wasserschweinbrühe etwa. Werden Sie bekommen. Jetzt im Augenblick brennt aber gerade das Feuer nicht. Während wir so geplaudert haben, habe ich es dummerweise ausgehen lassen, aber ich zünde es gleich wieder an!«
Worauf Flip aus der Grotte hinausging, gefolgt von Mrs. Clifton.
»Nein, Madame!« sagte er leise zu ihr. »Wir dürfen es ihm jetzt noch nicht sagen! Morgen! Später!«
»Aber wenn er die heiße Brühe verlangt, die Sie ihm versprochen haben!«
»Ja, ich weiß, das ist eine verzwickte Situation! Wir müssen Zeit gewinnen! Vielleicht vergißt er es ja! Wissen Sie was, wir müssen ihn ablenken. Erzählen Sie ihm unsere Geschichte!« Darauf gingen Mrs. Clifton und Flip wieder in die Grotte.
»Nun, Herr Ingenieur, wie ist das Befinden?« fragte der Seemann. »Schon besser, nicht wahr? Wenn Sie sich stark genug fühlen, wird Ihnen Madame Clifton jetzt unsere Abenteuer erzählen! Sie sind mindestens so spannend wie die Ihren! Sie werden sehen!« Auf ein Zeichen ihres Mannes begann Mrs. Clifton mit ihrem Bericht. Sie erzählte in allen Einzelheiten, was sich ereignet hatte, seit das Boot von der
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getrennt worden war: die Ankunft an der Flußmündung, das erste Lager unter dem Boot, die Exkursion in den Wald, die Erkundung der Felswand und des Ufers, die Entdeckung des Sees und der Grotte, die Jagd-und die Angelunternehmungen. Sie vergaß auch den Vorfall mit dem zerbrochenen Messer nicht, erwähnte aber mit keinem Wort den Wolkenbruch und das erloschene Feuer. Dann sprach sie über die hilfsbereiten, tapferen Kinder, die sich ihres Vaters würdig erwiesen hätten. Schließlich hielt sie eine solche Lobrede auf die einzigartige Selbstlosigkeit Flips und vergoß dabei so heiße Tränen der Dankbarkeit, daß der treffliche Mann errötete und nicht mehr wußte, wohin er blicken sollte.
Da richtete sich Harry Clifton ein wenig auf und legte dem neben ihm kauernden Flip beide Hände auf die Schultern.
»Flip«, sagte er, und seine Stimme verriet dabei höchste Ergriffenheit, »Sie haben meiner Frau, meinen Kindern und auch mir das Leben gerettet! Gott segne Sie dafür!«
»Aber, Herr Ingenieur«, erwiderte der Seemann, »da war doch nichts dabei … Das war alles reiner Zufall … Sie sind wirklich zu gut zu mir …«
Und Mrs. Clifton flüstert er zu: »Weiter,
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