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Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
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erhob sich jäh, ihr Gesicht trug wieder den alten, gefaßten und melancholischen Ausdruck.
    »Bitte, Frau, ich sah, wie sie meine Jacke dort in die Ecke warfen, und in meiner Jackentasche ist meine Bibel – wenn ich die haben könnte.«
    Cassy ging und holte sie. Tom schlug sogleich eine dick angestrichene Stelle auf, die, schon ganz zerfleddert, von den letzten Szenen aus dem Leben des Heilands handelte, durch dessen Wunden wir geheilt wurden.
    »Wenn Ihr das lesen wolltet, dies hier – das ist besser als Wasser.«
    Cassy nahm das Buch mit stolzer, undurchdringlicher Miene und überflog die Stelle. Dann las sie laut mit weicher Stimme und eigentümlich schöner Betonung den ergreifenden Bericht von Tod und Überwindung. Ihre Stimme schwankte häufig, und manchmal versagte sie ganz, dann hielt sie in kalter Selbstbeherrschung inne, bis sie ihre Stimme wieder in der Gewalt hatte. Aber als sie zu den rührenden Worten kam: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun«, warf sie das Buch hin, verbarg ihr Gesicht in den schweren Wellen ihres Haares und brach in krampfhaftes Schluchzen aus.
    »Warum stellt er uns dahin, wo wir der Sünde nicht ausweichen können?« fragte die Frau.
    »Ich denke, wir können ihr wohl ausweichen«, antwortete Tom.
    »Warte nur ab«, sagte Cassy. »Was willst du denn tun? Morgen fallen sie wieder über dich her. Ich kenne sie, ich weiß, wie sie es treiben; es ist mir schrecklich, wenn ich denke, was sie alles mit dir anfangen können – bis du doch nachgibst.«
    »Lieber Heiland!« bat Tom, »du wirst meine Seele bewahren! O Herr, laß mich nicht kleinmütig werden!«
    »Ach, diese Rufe und Gebete habe ich schon früher gehört«, sagte Cassy, »und dann mußten sie doch nachgeben und sich krümmen. Auch Emmeline versucht durchzuhalten, ebenso wie du hier – aber wozu? Es ist vergebens.«
    »Nun gut, dann will ich sterben!« sagte Tom. »Mögen sie es noch so lange hinauszögern, einmal müssen sie mich doch sterben lassen – und dann können sie mir nichts mehr anhaben. Jetzt weiß ich es! Jetzt bin ich durch. Der Herrgott wird mir helfen und mich durchbringen!«
    Die Frau antwortete nicht; sie saß aufrecht und hielt ihre schwarzen Augen starr auf den Boden geheftet. »Vielleicht ist es der richtige Weg«, sprach sie vor sich hin; »aber für diejenigen, die nachgeben, besteht keine Hoffnung – keine! Wir leben in der Verderbnis und werden verderben, bis wir uns selbst zum Ekel sind! Und wir sehnen uns nach dem Sterben und haben keinen Mut, uns umzubringen. Wir haben keine Hoffnung, wir wissen keinen Ausweg! Jetzt dieses Mädchen – so alt war ich damals auch! Du siehst mich hier«, sagte sie und sprach in fliegender Hast, »wo ich hingekommen bin. Ach, ich bin im Überfluß aufgewachsen. Das erste, an was ich mich aus meiner Kindheit erinnere, sind die prächtigen Räume, in denen ich spielte. Ich war geputzt wie eine Puppe, und auf Gesellschaft, bei Besuchen lobten mich alle. Vom Salon aus konnte man den Garten erreichen, dort spielte ich mit meinen Geschwistern Verstecken unter den Orangenbäumen. Ich besuchte eine Klosterschule und lernte dort Musik, Französisch, Sticken und dergleichen. Mit vierzehn Jahren kam ich heraus, gerade zur Beerdigung meines Vaters. Er starb ganz plötzlich, und als man seine Hinterlassenschaft ordnete, stellt sich heraus, daß man kaum die Schulden decken konnte. Als die Gläubiger eine Art Aufstellung des Vermögens machten, wurde ich auf die Liste gesetzt. Meine Mutter war eine Sklavin gewesen, und mein Vater hatte mich immer freilassen wollen; aber er war nicht mehr dazu gekommen, und deshalb kam ich auf die Liste. Ich hatte immer gewußt, was ich war, mich aber nie viel darum gekümmert. Man erwartet ja auch nicht, daß ein starker, gesunder Mann plötzlich stirbt. Mein Vater war bis auf die letzten vier Stunden vor seinem Tode niemals krank gewesen – er war einer der ersten Cholerafälle in New Orleans. Am Tage nach der Beerdigung meines Vaters nahm die Frau meines Vaters ihre Kinder und begab sich auf ihre väterliche Plantage. Ich fand, daß man mich merkwürdig behandelte, aber ich verstand es nicht. Der junge Anwalt, der die Geschäfte ordnete, kam jeden Tag und war sehr höflich. Eines Tages brachte er einen jungen Mann mit; niemals hatte ich einen schöneren Menschen gesehen. Er ging mit mir im Garten spazieren, nie werde ich jenen Abend vergessen. Ich war einsam und traurig, und er war freundlich und sanft zu mir; er

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