Onkel Toms Hütte
nicht entziehen konnte. Als sie ihren Korb an der Waage vorwies, hatte er auf ein Eingeständnis gehofft und sie halb versöhnlich angesprochen; aber sie hatte ihm in eisiger Verachtung geantwortet.
Die schändliche Behandlung des armen Tom hatte sie noch mehr aufgebracht, und sie war Legree jetzt nur ins Haus gefolgt, um ihm seine Niedertracht vorzuhalten.
»Ich will ja nur, Cassy«, sagte Legree, »daß du dich anständig benimmst.«
»Du redest von Anständigkeit? Und was hast du getan? Du hast nicht einmal Verstand genug, dir mitten in der Ernte deine besten Leute zu erhalten, bloß weil du so ein Hitzkopf bist.«
»Ich war ein Narr, die ganze Geschichte anzuzetteln, das stimmt«, sagte Legree, »aber als der Kerl seinen Willen durchsetzen wollte, mußte ich ihn kuschen.«
»Den wirst du nie kuschen.«
»So?« Legree erhob sich wutentbrannt. »Das wollen wir doch sehen. Das wäre der erste Nigger, der bei mir etwas durchsetzte. Und wenn ich ihm jeden Knochen einzeln zerbreche, nachgeben muß er!«
Da ging die Tür auf, und Sambo kam herein. Unter vielen Bücklingen überreichte er ein Päckchen, in Papier gewickelt.
»Was ist das, du Hund?«
»Ein Hexenzauber, Herr.«
»Ein was?«
»Etwas, was Nigger von Hexen haben. Er trug es an einer schwarzen Schnur um den Hals.«
Legree war wie die meisten gottlosen und grausamen Menschen sehr abergläubisch. Er nahm das Päckchen und riß hastig das Papier herunter.
Ein Silberdollar fiel heraus und eine lange, glänzende Locke aus blondem Haar, die sich wie ein lebendiger Ring um Legrees Finger ringelte.
»Verdammt«, brüllte dieser, stampfte mit dem Fuß auf und riß das Haar herunter, als ob es ihn verbrenne.
»Wo kommt das her? Nimm es weg – verbrenn es – verbrenn es!« brüllte er und schleuderte es auf die Kohlen. »Wozu hast du es hergebracht?«
Sambo stand wie vom Donner gerührt mit aufgerissenem Mund dabei, und Cassy, die im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen, hielt inne und sah ihn vollkommen verblüfft an.
»Untersteh dich und bring mir das Teufelszeug hier herein!« sagte Legree und drohte Sambo mit der Faust, der sich eilig zur Tür drängte; dann bückte er sich nach dem Silberdollar und warf ihn klirrend durch die Fensterscheibe hinaus in die Dunkelheit.
Sambo war froh, die Flucht ergreifen zu können. Als er verschwunden war, schien sich Legree ein wenig seiner Aufregung zu schämen. Bedrückt setzte er sich auf seinen Stuhl und begann seinen Punsch zu schlürfen.
Unbeobachtet entschlüpfte Cassy, um sich nach dem armen Tom umzusehen, wie wir oben berichteten.
Was aber war mit Legree geschehen? Wie konnte eine schlichte blonde Locke einen Menschen derart aus der Fassung bringen, der doch mit jeder Grausamkeit vertraut war? Um hierauf eine Antwort geben zu können, müssen wir den Leser ein gutes Stück in unserer Geschichte zurückführen. So hart und gefühllos sich dieser Mensch jetzt ausnahm, einmal hatte es eine Zeit gegeben, da war auch er als kleines Kind an einer Mutterbrust gewiegt, mit frommen Liedern zur Ruhe gesungen worden. In früher Kindheit hatte eine blondhaarige Frau ihn unter dem Klang der Feiertagsglocken zu Gebet und Andacht geführt. Im fernen Neu-England hatte diese Mutter ihren einzigen Sohn in langmütiger, nie wankender Liebe erzogen. Als Sohn eines hartherzigen Vaters, an den die sanfte Frau eine Welt von Liebe verschwendet, war Legree in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Prahlerisch, ungebändigt und herrschsüchtig hatte er ihren Rat verachtet und ihre Vorwürfe abgeschüttelt; schon im frühen Alter brannte er durch, um auf See sein Glück zu suchen. Er kam nur noch einmal zurück, und da beschwor ihn seine Mutter, die in der Sehnsucht ihres Herzens nach Liebe verlangte und sich aus Liebe an ihn klammerte, mit leidenschaftlichen Gebeten und Vorhaltungen, sein sündhaftes Leben zum Besten seiner unsterblichen Seele aufzugeben.
Damals riefen ihn die guten Engel, damals war er fast gewonnen, und das Erbarmen hielt ihn an der Hand. Sein Herz bereute insgeheim – ein Kampf erhob sich –, aber die Sünde errang den Sieg; mit der ganzen Kraft seiner robusten Natur widerstand er dem Ruf seines Gewissens. Er trank und fluchte, war wilder und roher als je zuvor. Und als seine Mutter eines Nachts in letzter Verzweiflung zu seinen Füßen kniete, entwand er sich ihr, warf sie besinnungslos zu Boden und floh unter lästerlichen Flüchen auf sein Schiff. Das letzte, was Legree von seiner Mutter erhielt,
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