Onkel Toms Hütte
»komm her – ich habe eine Neuigkeit.«
»Was denn, Frau Cassy?« fragte Tom ängstlich.
»Tom, hättest du nicht gern deine Freiheit?«
»Ich erhalte sie nach Gottes Willen«, erwiderte Tom.
»Ei, du kannst sie heute nacht schon haben«, sagte Cassy in plötzlicher Energie. »Komm mit.«
Tom zögerte.
»Komm mit!« wiederholte sie flüsternd und starrte ihn aus schwarzen Augen an.
»Komm mit! Er ist fest eingeschlafen. Ich habe ihm genug in seinen Schnaps geschüttet. Wenn ich mehr gehabt hätte, brauchte ich dich jetzt nicht. Aber komm jetzt, die Hintertür ist aufgeriegelt. Da steht die Axt, ich hab sie hingestellt; seine Stubentür ist offen; ich zeige dir den Weg. Ich hätte es selbst getan, aber meine Arme sind zu schwach. Komm rasch!«
»Nicht um alles in der Welt, Frau!« sagte Tom fest und hielt sie zurück, als sie ihn vorwärtsdrängte.
»Denke doch an alle die andern«, sagte Cassy. »Wir könnten sie alle freilassen und in die Sümpfe gehen und dort auf einer Insel leben; das hat man schon früher getan. Jedes Leben ist besser als dieses.«
»Nein«, erwiderte Tom fest. »Nein! Niemals entsteht Gutes aus Bösem. Lieber schlüge ich mir die rechte Hand ab.«
»Dann werde ich es tun«, sagte Cassy und drehte sich um.
»Oh, Frau Cassy!« flehte Tom und warf sich vor ihr zu Boden. »Nur Übel kann daraus entstehen. Der liebe Gott hat uns nicht zur Rache bestellt. Wir müssen leiden und seine Zeit erwarten und unsere Feinde lieben.«
»Lieben?« sagte Cassy mit wildem Funkeln, »solche Feinde? Das ist wider die Natur!«
»Nein, Frau«, entgegnete Tom aufblickend, »er verleiht uns die Kraft, und dann ist der Sieg unser. Wenn wir lieben und leben können trotz allem und für alle, dann ist der Sieg unser.«
Cassy stand schweigend da, während große, schwere Tränen aus ihren gesenkten Augen tropften.
»Aber Frau Cassy«, sprach Tom zögernd, nachdem er sie eine Weile prüfend angesehen hatte. »Wenn Ihr doch von hier weggehen könntet – wenn es sich machen ließe –, dann würde ich Euch und Emmeline dazu raten, das heißt, wenn Ihr ohne Blutvergießen gehen könntet – anders nicht.«
»Würdet Ihr es mit uns versuchen, Vater Tom?«
»Nein«, sagte Tom, »es hat eine Zeit gegeben, da hätte ich es getan; aber jetzt habe ich hier unter den Armen eine Aufgabe. Bei ihnen will ich bleiben und mein Kreuz tragen bis zum Ende. Bei Euch ist es etwas anderes; Ihr geht daran zugrunde – es ist mehr, als Ihr tragen könnt, es ist besser, wenn Ihr geht.«
Cassy hatte oft Stunden damit zugebracht, alle möglichen Fluchtpläne zu ersinnen, um sie alle wieder als unausführbar und hoffnungslos fallenzulassen; aber in diesem Moment zuckte in ihrem Geist ein Plan auf, so einfach und in allen Einzelheiten durchführbar, daß sich eine erste Hoffnung in ihr regte.
»Vater Tom, ich werde es versuchen!« sagte sie plötzlich.
»Amen!« sagte Tom. »Gott stehe Euch bei.«
38. Kapitel
Der Fluchtplan
Der Bodenspeicher in Legrees Haus war wie die meisten Speicher ein großer, öder, staubiger Raum, von Spinnweben durchzogen und vollgestellt mit altem Gerümpel. Die reiche Familie, die das Haus in der Zeit seines Glanzes bewohnte, hatte eine Menge prächtiger Möbel angeschafft, von denen sie einige mitgenommen, andere in den unbenutzten, modrigen Räumen zurückgelassen oder hier oben verstaut hatte. Zwei von den riesigen Holzverschlägen, in denen diese Möbel verpackt gewesen, standen auf beiden Seiten des Speichers. Durch die trüben, schmutzigen Scheiben eines kleinen Fensters fiel ein unsicheres Licht auf große, hochlehnige Stühle und verstaubte Tische, die einst bessere Tage gesehen. Im ganzen war es ein wenig einladender, spukhafter Ort, und es fehlte auch nicht an Schauermärchen bei den abergläubischen Negern, um seine Schrecken noch zu steigern.
Allmählich wurde die Treppe, die zum Speicher führte, ja selbst der Flur vor der Treppe von allen im Hause gemieden; jeder scheute sich, davon zu sprechen. Da fiel es Cassy plötzlich ein, sich Legrees abergläubische Erregbarkeit zum Zwecke ihrer und ihrer Leidensgenossin Flucht zunutze zu machen.
Cassys Schlafgemach befand sich unmittelbar unter dem Speicher. Eines Tages machte sie sich plötzlich daran, ohne Legree weiter zu fragen, mit großem Aufwand ihre Möbel und Habseligkeiten aus diesem Raum in einen weit entlegeneren zu transportieren. Die Dienstboten, die sie zu diesem Wechsel bestellt hatte, rannten mit großem Eifer und Getöse
Weitere Kostenlose Bücher