Online Wartet Der Tod
hatte ihren Stolz überwunden, sich auf das Spiel eingelassen und alles darangesetzt, dass die Medien, die Stadt, das Police Department – alle – Jerrys Tod anders betrachteten als bisher.
Damals hatte sie immer betont, sie tue das alles ausschließlich für sich selbst. Sie wolle erleben, wie dieser Mistkerl William Summer – der Mann, den sie am Ende als College-Hill-Würger überführten – Rechenschaft über alle seine Opfer ablege, auch über Detective Jerry Hatcher. Sie wolle ihren Vater rehabilitiert sehen.
Aber Roberta hatte gewusst, dass es um mehr ging. Ihre Tochter tat selten etwas nur für sich selbst, und die Kampagne, die dazu führen sollte, dass der Tod ihres Vaters als ein weiterer College-Hill-Mord bewertet wurde, bildete keine Ausnahme. Sie hatte das für ihre Familie getan. So war Ellie, soweit Roberta zurückdenken konnte: Sie stand für Jess und ihre Mutter ein.
Ellie wusste genau, dass Roberta das Geld aus Jerrys Lebensversicherung, das ihr vor so langer Zeit verweigert worden war, mehr denn je gebrauchen konnte. Bei Selbstmord, wurde ihr damals mitgeteilt, werde nicht gezahlt. Und offiziell war es Selbstmord gewesen.
Ihr Mann war auf dem Seitenstreifen einer Landstraße nördlich von Wichita auf dem Fahrersitz seines Wagens gefunden worden. Eine Kugel aus seinem Dienstrevolver hatte Mundhöhle, Hirn und Schädeldecke durchschlagen und war im Dach des Mercury Sable stecken geblieben. An seinen Händen waren Schmauchspuren, die darauf hindeuteten, dass er sich die Schussverletzung selbst beigebracht hatte. So hatte man es ihr erklärt. Er hat keinen Brief hinterlassen, hatte sie immer wieder eingewandt. Das sei nicht ungewöhnlich, hatte der Polizeipsychologe gesagt, immerhin sei Jerry katholisch erzogen worden.
Außerdem sei Jerry depressiv gewesen, hatte es aus dem Police Department geheißen. Und besessen. Und desillusioniert. In diesen Punkten hatte Roberta nicht widersprechen können. Ihr Mann war ohne Frage nicht mehr der, den sie zwanzig Jahre zuvor kennengelernt hatte. Am 2. Februar 1978, als er an einen Tatort gerufen wurde, der sich als einer der berüchtigtsten der Stadt erweisen sollte, hatte sich alles verändert, sie selbst, Jerry, ihre Ehe, ihre Familie.
Eine alleinstehende Mutter und ihre beiden Kinder waren umgebracht worden. Allen drei Opfern waren die Augen verbunden, und sie waren gefesselt und erwürgt worden. Neben dem Leichnam der zwölfjährigen Tochter lag ein Lappen mit Spermaspuren, was darauf hindeutete, dass der Mörder das Mädchen zuletzt getötet und …
Roberta trank einen Schluck Wodka und versuchte die Einzelheiten auszublenden. Unglücklicherweise waren die Bilder – ebenso wie die von den späteren Morden – viel zu fest in ihrer Erinnerung verankert. Sie konnte nur ahnen, wie sie auf ihre Tochter gewirkt hatten. Die kleine Ellie hatte sich immer wieder in den verdammten Keller geschlichen, um am Hobby ihres Vaters teilzuhaben. Roberta hätte auf einem Vorhängeschloss bestehen sollen.
Theoretisch hätte Jerry die Arbeit an dem Fall einstellen müssen, als das Wichita Police Department ein paar Jahre nach der letzten bekannt gewordenen Tat des College-Hill-Würgers die Sonderkommission auflöste. Als es längere Zeit keinen in das Muster passenden Mord mehr gegeben hatte, nahm alle Welt an, dass der Täter tot war oder im Gefängnis saß.
Nicht aber Robertas Mann. Ein ganzes weiteres Jahrzehnt hindurch hatten Akten, Fotos, selbstverherrlichende Briefe eines Mörders an die Medien und die Polizei – im Grunde die gesamten Ermittlungen zum College-Hill-Würger – auf Tischen und Nachtschränken herumgelegen und sämtliche Wände ihres Kellers bedeckt. Nach Jerrys Tod hatten seine Vorgesetzten das alles konfisziert. Roberta und ihren Kindern war nichts geblieben als die Erinnerung – an Jerry und an den Fall, den er für sich nie hatte abschließen können.
Nach all den Stunden, Nächten, Jahren wusste sie immer noch nicht, wie sie die Tatsachen, die über den Tod ihres Mannes bekannt waren, deuten sollte. Aber wer auch immer den Abzug an Jerrys Dienstwaffe betätigt hatte – in ihren Augen ging das, was ihr und ihrer Familie widerfahren war, eindeutig auf William Summers Konto.
Die Wiederholung einer harmlosen Sitcom, die sie sich angeschaut hatte, war zu Ende, und es folgte ein Krimi, in dem Polizisten Fälle lösten, indem sie greifbare Beweise auswerteten. Roberta nahm die Fernbedienung, schaltete um und trank noch einen Schluck
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