Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
so, und wo der hinhaut, da wächst kein Bart mehr äy, und sie wird jetzt als Zeugin gesucht und weiß gar nicht, keine Ahnung.
Und Mensch, ist sie jetzt plötzlich fertig. Keine Ahnung. Sie haben überhaupt noch nicht geschlafen. Onno hat ja geschlafen wie ein Bärchen. Voll süß. Beneidenswert. Übrigens haben sie ein Foto gemacht von ihm! Zeigt sie ihm gleich. Aber sie und Tibor haben nicht eine Minute die Augen zugemacht seit gestern morgen um sechs. Das sind, Moment mal, vierundzwanzig plus – jetzt ist es fünfzehn Uhr zehn, also bald vierzig Stunden, geht ja noch, sie war schon mal fünfundfünfzig Stunden wach, als sie BQ – Star wurde, o mein Gott haben sie gefeiert, und dann vollgekokst bis an die Zwirbeldrüse gleich stundenlang Interviews geben im Viertelstundentakt, und ein Meet and Greet nach’m andern, und nachts gleich wieder Paady, bis morgens um neun die nächsten Termine anstanden …
»Zirbeldrüse«, verbesserte Onno gütig.
Fiona schmollte vorsichtshalber schon mal. »Hä?«
»Zirbel. Nicht Zwirbeldrüse.«
»Häpäpäpäpääää …«
»Siehst du?«
»Hallo? Was!«
»Siehst du, wie doll du Tibor gekränkt hast? Nech?« Gütig schloß Onno kurz die Lider. »Wenn du schon bei so was einschnappst …«
Und Fiona begriff. Senkte die Manga-Wimpern. »Oh mein Gooott …« Gleich darauf sprang sie auf. Wollte gleich wieder runter und sich entschuldigen, doch Onno stoppte sie. Schickte sie zu Bett. »Ist besser so, nech. Laß ihn mal noch ’n bißchen.«
»Du bist so klug, Otto«, sagte sie mit aufrichtigem Kinderstimmchen. »Wie kommt das eigentlich.«
»Na ja«, sagte Otto-Osho. »Ich weiß, wie es ist, dreiundzwanzig zu sein, aber du noch nicht, wie es ist, dreiundfünfzig zu sein.«
Onno wußte selber nicht, was er damit sagen wollte, doch Fiona kaufte es wimmernd. Onno hatte sich erhoben und zu Fiona gesellt, die an die Balustrade vorgerückt war. Schon wieder der weise, alte Comandante und seine Enkelin, die sich ihren Kummer über den ungebärdigen Wildhengst teilen.
In diesem Moment (so seine Erinnerung nach der Rückkehr, als er sich so fremd fühlte) kam er sich auf sonderbare Weise mißbraucht vor. Mißbraucht weder von Fiona als hiesige, physische Goldlockenperson, noch von Queckenborn, noch von Händchen. Sondern von etwas Unstofflichem, das dennoch roboterhaft vital war. Er fühlte sich verpflichtet, niederträchtigerweise in die Pflicht genommen, in lügnerischer, widerwärtiger Form verantwortlich gemacht. Er verspürte eine Art Verwandtschaft zu diesen beiden Figuren hier – aber was für eine Verwandtschaft sollte das sein?
Hatte sein Verhältnis zu Fiona womöglich etwas Inzestuöses (wiewohl, nichtsdestoweniger, sie ihn zum Daddy gemacht hatte)? Nein. Und doch, er war schon letztes Jahr schuldig geworden, asexuell zu Haus auf der Couch, und Edda seine Helfershelferin. Ob Patri- oder Matriarchat, die Verwandtschaftsgrade an sich blieben dieselben, doch gab es in traditionellen Familienkulturen nicht viel ausgefinkeltere Nomenklaturen? Was galt ein Cousin noch in unseren Breiten? Vielleicht sollte man für »Freund meiner Mutter« und »Freundin meines Vaters« neue Ausdrücke erfinden. Patronkel und Matrante. Und ebenso auch für Verwandtschaftsverhältnisse, die das Fernsehen stiftete. Visionichte und – neffe oder so.
Telefiona schien unter derlei Erkenntnissen allerdings nicht zu leiden. Sie genoß ihren Gewinst, den sie aus dem Verhältnis zu Onno zog. Und dieser Umstand führte bei Onno zu einem Schwall von Solidarität, die er plötzlich Händchen gegenüber empfand. Zwar ohne Bringschuld, doch Onno gehörte nicht zu denen, die weiterfahren, wenn sie nachts auf der Straße jemanden liegen sehen.
Als Fiona sich gehorsam ins Bett verabschiedete, sagte auch Onno Tschüs. Er kommt ja gerne später wieder, aber jetzt will er erst mal seinen Kater pflegen. Nein, sie braucht ihn nicht rauszubringen. Weiß ja, wo’s lang geht. Er raucht nur eben noch auf.
Doch Onno rauchte noch eine weitere, und dann schritt er an die Balustrade und schaute Tibor zu, der seine Falle aufbaute, zuschnappen ließ und beharrlich wieder aufbaute. Er schaute Tibor zu, doch achtsam genug, daß er ggf. durch einen schnellen Schritt rückwärts würde unter dessen steiler Perspektive wegtauchen können.
Onno war niemand, der weglief – jedenfalls erst dann, wenn es so dringend geboten war, daß es genauso gut zu spät sein konnte. Das war oft so, er verstrickte sich in etwas.
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