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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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verdrillte Garottendraht mit Ochsenziemern, verflocht Stahlseile mit Galgenstricken und Peitschen mit Hanf. Und doch entstand ein Netz. Er ist süchtig, ja und? War schon immer süchtig. Schon als Kind, da war er verrückt nach Autoabgasen. Abgase schnüffeln. Hat ihn high gemacht. Später war er süchtig nach Blut, nach seinem eigenen, zuerst, später auch nach anderem. Nicht gesoffen oder so. Quatsch. Aber sehen. Riechen. Fließen spüren. Tränen sind für Pussys, Bluten ist geil. Schwemmt all den Dreck raus. All den Dreck raus, Digger. Schwemmt den Kloß im Hals raus.
    Bluten ist geil, aber süchtig kannst du nach allem werden. ’ne Zeitlang ist er süchtig danach gewesen, die Pflasterkleberückstände auf der Haut abzurubbeln. Schorf abzupulen. Süchtig nach dies, süchtig nach das, Diggär. Als er zehn war, Diggär, hat er auf der Straße gelebt, hat er dreißig Zigaretten am Tag geraucht. Und jede zweite auf der Innenseite des Unterarms ausgedrückt. Eymen auch. Eymen, Aslan, Timmy … alle. Sie waren die Narbenbande, die, aus der später die Hamburger Aale hervorgegangen sind. Ist dir ’n Begriff, Diggär. Hier, kuck dir das an. Er legte seine Handgelenke aneinander, nach außen rotiert, und zeigte verblaßte Nester von Brandwunden, zeigte den Stacheldraht, die Disteln und Grannen von Messer-, Scherben-, Dosenschnitten auf der Pulsseite seiner Unterarme.
    Im Hip-Hop-Takt mit der Stahlbürste auf den Handrücken klopfen, wer zuerst aufgibt, hat verloren.
    Er weiß noch, was für’n Gefühl das war, als er mal mit’m Fahrrad verunglückt ist, da war er fünf oder sechs, da war er irgendwie in die Speichen geraten, frag nicht wie, das ganze Fleisch aufgeschlitzt, und blutete wie ein geschlachtetes Schwein, und da trug Onkel Bogdan ihn durch eine Kindermenge, die da vom Spielplatz am Aalkooger Bodden herbeigelaufen ist, zu seinem Wagen, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, und da, keine Ahnung, Diggär, wie die da alle gafften und erschrocken waren, das war’n Gefühl, Diggär, keine Ahnung, und er hat ganz laut gerufen: Jaa, jetzt kuckt ihr, wa? Und da war er plötzlich nicht mehr so neidisch auf Aslan und Oktay und Oliver und alle, die noch ’ne richtige Mutter hatten, war sie auch noch so versoffen, verhurt oder verblödet.
    Da war er noch klein und schmächtig gewesen, erst mit neun, zehn hat er den ersten Schub gekriegt, Wahnsinn, zwölf Zentimeter in einem Jahr, und den zweiten Schub dann mit fünfzehn, sechzehn, von einssechsundachtzig auf zwei Meter, Diggär. Wütend gewesen auf seine Mutter. Weil sie besoffen war, als sie ihren Jaguar an den Brückenpfeiler auf der A5 genagelt hat. Und auf Tante Votze, weil sie bis heute behauptet, er sei schuld an Mamas Tod, weil sie auf dem schnellsten Weg zu ihm ins Krankenhaus wollte – er ist angeblich vom Klettergerüst gefallen. Das einzige, was er als Andenken von ihr hat, ist ein Zettel, auf dem sie eine Anweisung für den Babysitter geschrieben hat. Keine Ahnung, woher er den Zettel hat. Der war eines Tages da. Onkel Bogdan hat ihm den gegeben und gesagt, hier, das ist die Handschrift deiner Mutter, und seitdem schleppt er den Zettel immer mit sich rum, als Talisman. Erinnern kann er sich kaum an sie. Es gibt keine Fotos von ihr. Sie soll unwahrscheinlich schön gewesen sein. Das schönste Callgirl Deutschlands. Eins mit Stil. Eine Lady. Waschechte Kokotte, keine Fuffzig-Euro-Nutte, Diggär, du kennst den Unterschied. Naturgeilheit.
    Onno sah ihn an, während ihn Tetropov anstarrte. Tetropovs Augen loderten schwarz, und ohne zu blinzeln wippte er mit dem Fußballen, und obwohl Onno nicht erkennen konnte, ob Tetropov ihn wirklich sah, wußte Onno, er mußte zeigen, daß er alles aushielt, was man ihm erzählte – alles aushielt, wie der Findling eines Hünengrabs.
    ’türlich hat er auch schon mal Männer gefickt, Diggär. Denkst du denn. Im Knast? Zwei Jahre Knast? Knastschwul nennt man so was. Ist meistens nur ’n Machtinstrument. Wird als solches allgemein toleriert. Kein Problem. Kennst den Spruch, Diggär? Weiber ficken ist was für Schwuchteln . Aus so’m Film, wie heißt der … Kennst den? Genau! Den, wo sie eine Million Ecstasypillen geklaut haben, und dann dieser Typ, der den einen da mit’m Bügeleisen foltert.
    Im Bedürfnis, das Thema zu wechseln, fragte Onno, was denn vorhin losgewesen war.
    Vorhin? Was.
    Na, vorhin im Wohnzimmer, mit Fiona und dem Computer und so. Mann, ich dachte, ich träum’ noch. Ich dachte, Erdbeben oder

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