Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Irgendwann stellte er dann fest: Oha, da hab ich mich in was verstrickt, nech. Andererseits war es aber auch oft so, daß Onno irgend was einfach nur stur nicht wollte. Woraufhin er sich dann eben auch nicht darein verstrickte. Wann aber welcher Fall eintrat, das unterlag einer nur außersinnlich wahrnehmbaren, wenn nicht außerirdischen Willkür. Das einzig Berechenbare an Onno war seine Unberechenbarkeit. Dem wild randalierenden Gartenzwerg zum Trotz ging er die Treppe hinunter. »Moin«, sagte er.
Händchen blickte sich überrascht um. Sagte aber nichts, sondern baute die Falle wieder auf und ließ sie wieder zuschnappen. Dann suchte er mit den Augen nach der Nadel, bückte sich und hob sie auf. Sagte, ohne sich umzudrehn, kalt wie Nachtfrost: »Hast du eigentlich gar keine Angst vor mir, Digger?«
»Und du vor mir?« sagte Onno.
Händchen schnaubte. Keineswegs verächtlich, sondern Onnos Witzmut anerkennend.
»Zum Beispiel, daß ich dich schlagen könnte?« erläuterte Onno.
Falle schnappte wieder zu. Nadelsuche, Bücken, Aufheben.
»Im Tischtennis«, sagte Onno, »zum Beispiel. Oder Fang den Hut. Oder Gummitwist.«
Gehört hatte Händchen nur von einem, und mit der totalen Gewißheit des siegreichen Wettkämpfers sagte er: »Das wirst du noch bereuen …«
Es ging ein nur sehr sanfter Wind, und an der großzügigen Hangnische, in der die Tischtennisplatte stand, wehte er gar noch tangential vorbei. Auf der Suche nach Netz, Schlägern und Bällen wurde Händchen in dem Häuschen fündig, das er mit der Nähnadel bombardiert hatte. Onno holte aus der Küche einen feuchten Lappen und wischte die Platte penibel sauber. Die Schläger waren unter aller Kanone. Einer hatte einen etwas dickeren Offensivbelag, der andere abgewetzte Langnoppen. Klar, wer welchen wählte.
»So, du Pansen«, sagte Händchen. »Ist dir eigentlich klar, wie viele Stunden ich in meinem Leben mit Tischtennis verschwendet hab? Im JuZ in Aalkoog, im Heim, im Knast, in der Therapie? Ich sag’s nur, Diggär. Nicht, daß du hinterher sagst, ich hätte dich nicht gewarnt, Diggär.« Jetzt schon spürte Onno, wie Händchen die Depressionsschlacken abzuschütteln begann – durch die pure Aussicht, Wut in Bewegung zu wandeln.
Sie spielten sich warm. Anfangs schmetterte Händchen jeden Ball, den Onno ihm zuspielte (und es gab einen ganzen Eimer voll) – zudem mit einem Overkill, als schlachte er ein Schwein. Der Außennoppendrall schien ihn überhaupt nicht zu stören.
Schließlich sagte Onno: »He. Ich bin nicht dein Sparringssack.« Danach hatte sein Gegner es kapiert, und sie versuchten gemeinsam, den Ball geschmeidig zu halten. Zwischen den Schlägen federte Händchen immer mal wieder auf eine lichte Höhe von zweiachtzig, lockerte die Hüften und schleuderte den Arm wie einen Windmühlenflügel. Kein Anzeichen davon, daß er seit vierzig Stunden wach war. Onno hingegen fühlte sich wie das, was er war: ein alternder, verkaterter Mann.
Schon beim Einspielen war nicht zu verkennen, daß Händchen nicht geblufft hatte. Sein Stil ähnelte Raimunds: Topspin mit trotz mangelhaften Belags extremer Rotation, starkes Stellungsspiel bei langen Bällen, Allrounder mit bisher schwer auszumachenden Schwächen. Und etwaige Angabentricks würde er natürlich erst im Spiel offenbaren.
Schwieriges Amt. Technisch war Onno bei weitem unterlegen. Höchstens, daß Händchen bei längeren Unterschnittpassagen ungeduldig werden würde. Um zu gewinnen, würde Onno dessen Moral brechen müssen. Ihm den Spaß verderben. Kurzspielen, trotz der Reichweite. Plattblocken. Zu Tode schupfen. Zunächst das Spiel stören, dann das Spiel zerstören, dann Tetropov zerstören, bis er sich voller schwarzer Lust selbst zerstörte. Ein Gemetzel.
»Woll’n wir?«
»Fang an, Diggär.«
»Nix.« Onno legte den Ball auf den Tisch, preßte die Zeigefingerkuppe drauf und ließ ihn drunter hervorschnellen. Nach einem Dezimeter Schlittern Richtung Netz faßte der Rückwärtsdrall Fuß, und der Ball rollte gemächlich kehrt Richtung Tischkante. Unterhalb fing Onno den Ball mit beiden Händen auf, trennte sie dann und schaute Händchen an. Händchen wählte die Linke und gewann den ersten Aufschlag.
Händchen tänzelte ein bißchen, federte zwei-, dreimal in die Höhe, spielte ein bißchen Pingpong mit sich selbst, indem er den Ball zwei-, dreimal zwischen linker Hand- und Schlägerfläche hin- und herprallen ließ, und dann stellte er sich weit nach außen in den spitzesten
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