Op Oloop
Gastón, der Sie soviel Einfluß haben, könnten etwas tun …«
Ein wohlwollendes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Wahrhaftig … Das Land hat große Fortschritte gemacht, seit ich die ›Meile von Buenos Aires‹ eingeführt habe. Nella raffinatezza dell vizio c'è la civiltá d'un popolo – die Kultiviertheit eines Volkes erkennt man an der Kultivierung des Lasters … Doch in der Tat, soviel Fortschritt, soviel Zivilisation …«
»… schadet uns. Erinnern Sie sich an die Hundertjahrfeier? Was für eine Zeit war das! Es machte Freude …«
»Jawohl. Es machte Freude, die Tugendhaftigkeit der porteñas festzustellen!«
»Wir warten auf Sie, Marietti«, mahnte Van Saal mit von Kummer durchtränkter Stimme.
»Ich muß, Madame Blondel. Zu Ihrer vollen Verfügung.«
Er umschrieb einen zeremoniellen Gruß und gesellte sich zu seinen Freunden.
Unter keinen Umständen wollte er zauderhaft sein. Die ausdauernde Anhänglichkeit und die feurige Fürsorge, die Piet Van Saal Op Oloop in der momentanen Lage angedeihen ließ, rührten ihn. Und er erwies ihm Ehre, indem er ihm seinerseits soviel Hilfe wie möglich leistete.
Sie stiegen in das Auto, das sie hergebracht hatte.
»Fahren Sie zur Avenida Alvear«, wies Robín an.
Es gibt Personen, die ausschließlich für die Freundschaft gemacht sind, Personen, die den ergötzlichen Umgang der Instinkte verschmähen, um sich den urwüchsigen Ausschüttungen einer intelligenten Kameradschaft zu widmen. Van Saal, zum Beispiel. Seit der Statistiker sich heimlich aus dem Haus des Konsuls davongemacht hatte, hatte seine Unruhe begonnen, in den fürchterlichsten Mutmaßungen zu erzittern. Seinem Herzen getreu, seinem Hirn ergeben, stürzte er sich in die Suche, um ihn vor Schaden und Gefahren zu bewahren. Seit jenem Moment hatte er keine ruhige Minute gehabt. Er durchquerte mehrmals die Stadt, von einem Ende zum anderen, um Op Oloops Bekannte zu befragen; er rief unermüdlich bei ihm zu Hause und bei der Polizei an; ging mit dem Beamten, der den Verkehrsunfall aufgenommen hatte, zu den Orten, die er zu besuchen pflegte, nichts. Niemand konnte ihm eine dienliche Information liefern. Je mehr er den Überblick verlor, desto stärker wurde seine Absicht, sich nützlich zu machen. Er wußte, daß dies in der Not seine Pflicht war, und er zögerte nicht, auch nur den geringsten Zweifel auszuräumen, um dessen Aufenthaltsort zu ermitteln. Bereits spät, von einer Fahrt nach Tigre zurückgekehrt – um zu überprüfen, ob Op Oloop sich alleine mit der Yacht des Konsuls hinausgewagt hatte – lief er die von den Nordländern frequentierten boîtes ab. Nichts. Er kehrte zum Haus des Freundes zurück. Wartete bis um drei Uhr morgens. Für ihn war irgendein ungeheuerlicher Schicksalsschlag bereits zur Gewißheit geworden. Der Statistiker war die personifizierte Präzision … Mit dem Bedürfnis nach Trost, das diejenigen befällt, die ihren Beweggrund verloren haben, begab er sich wieder in die Freizonen der Lust. Plötzlich weiteten sich seine Augen, perplex, in einer skandinavischen Bar im Hafenviertel. Ivar Kittilä und Erik Joensun kamen hereingewankt. Er bestürmte sie mit Fragen.
»Wir kommen vom grill des Plaza Hotel, von einem Dinner, das, wie der Zufall es will, Op Oloop gegeben hat.«
Sein Gehör wies die Sätze zurück. Er konnte es nicht glauben.
»Unmöglich. Ich habe dort angerufen. Ich habe dort angerufen!«
»Ja. Ich weiß. Doch er befahl dem maître: ›Antworten Sie, daß ich gerade gegangen bin‹. Ich erinnere mich sehr gut.«
»Mir das anzutun! Mir!«
»Es hat ihn von ganzer Seele geschmerzt. Man muß seinen Zustand gesehen haben! Op Oloop befindet sich auf schlechtem Wege. Er hat vielleicht einen Umgang!«
Seine Niedergeschlagenheit verging sofort. Die Landsleute ließen sich nieder, um es ihm genauer zu erklären. Ihr Fußmarsch hatte die Dämone des Alkohols aufgeweckt. Dementsprechend hatte ihre Erklärung die langatmige Detailfreude, die gewissen Trunkenbolden zu eigen ist. So erfuhr er von den Ungereimtheiten, Ausbrüchen und seltsamen Theorien des Statistikers. Noch bestürzter drängte er sie am Ende, ihn auf seiner Suche zu begleiten. Ihre Absage kam geradeheraus. Die belanglosen Motive, die beide vorbrachten, erzürnten ihn. Er hielt es nicht länger aus, nahm die unverzichtbaren Informationen entgegen und ging.
Das Auto raste unterdessen dahin.
Das ausgedehnte Stillschweigen, das Piet, Robín und Gastón während eines guten Teils des Weges
Weitere Kostenlose Bücher