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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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reinen Güte, daß sie fast töricht war. Und sie wollte bis zu ihr vordringen. Doch machte es ihr die Traurigkeit unmöglich. Die einfache, elementare Traurigkeit eines Viehstücks, das zur Schlachtbank geführt wird. Und sie lehnte sich an seine Brust, ohne auch nur einen Seufzer auszustoßen, und bot ihren Nacken seinen Küssen zum Opfer dar.
    In der Tat, Op Oloop neigte den Kopf. Besser gesagt, er ließ zu, daß er genauso herabfiel wie bei dem Bildnis vieler Darstellungen Christi in Agonie. Er war entkräftet. Der Kontakt mit ihrer Haut und ihrem langen Haar rief nicht die geringste Reaktion in ihm hervor. Im Gegenteil, er ließ beide einen nicht wahrnehmbaren Klagelaut ausstoßen. Als sie schon zur Trennung bereit war, faßte der Statistiker sie sanft um die Taille. Er besaß nicht die Kraft, Kustaa an sich zu reißen und mitzunehmen. Also versuchte er, sie von seinen Erlöserabsichten zu überzeugen. Doch wie überreden, wenn er nicht zur Überwindung in der Lage war? Die Scham des Scheiterns suchte Zuflucht in ihrem Haar. Es entstand eine bewegende Pause, nach der ihn heftige Lust zu reden überkam. Doch er hatte nichts zu sagen. Er nahm eine schnelle Inspektion seines Herzens vor. In ihm gab es viel aufgeschobene Zärtlichkeit. Welch unsäglicher Genuß! Er sammelte sie auf seinen Lippen und ergoß sie komplett in ihr Ohr, auf so liebevolle Weise, daß beide weinten, als sie sich voneinander lösten.
    Madame Blondel schickte Kustaa auf ihr Zimmer. Doch diese kehrte umgehend zurück und brachte Op Oloops Weste. Die Patronin entriß sie ihr mürrisch: »Geh sofort zurück.«
    Als sie Anstalten machte, Op Oloop die Weste zu reichen, verschärfte sich sein Blick auf grausige Weise. Seine Zähne knirschten, während er auf einer Schmährede herumkaute, die in Knurrlauten verging. Der Patronin gelang es nicht, eine derartige Phobie in Zusammenhang mit ihrer Zuvorkommenheit zu sehen. Und sie beharrte, indem sie ihm die Weste hinhielt.
    Mit einem Schlag fiel sie zu Boden.
    »Entfernen Sie diese Schändlichkeit von hier! … Noch einmal der spanische Spielkartenfabrikant? … So ein halsstarriger Hund! … Wo ist er? … Wenn ich ihn zwischen die Finger bekomme, wird er sich sein Lebtag keine Weste mehr zuknöpfen!«
    Madame Blondel hatte eine Eingebung. In ihrem gesamten Werdegang als Kurtisane hatte sie stets die Schwächen der Männer ausgenutzt. Sooft sie ihre schwachen Stellen ausmachte – Trunkenheit, Liebesrausch, erotische Abwege – preßte sie sie zu ihrem Nutzen aus. Die Schwäche machte sie stark, fröhlich und arglistig. Da sie seinen Zorn wieder anschwellen sah, ging sie zum Angriff über: »Hier entlang. Kommen Sie. Sehen Sie ihn nicht? Don Jacinto Funes floh hier entlang. Folgen Sie mir.«
    Der Statistiker folgte ihr auf dem Fuß, Zähne und Fäuste zusammengepreßt. Er hatte nicht einmal den Argwohn eines Kindes, um die betrügerische List zu durchschauen. Als sie den Gehweg erreichten, hatte die innere Spannung ihn abgezehrt. Er war fiebrig und verschwitzt. Von Sinnen gebracht: in ihrer Macht. Sie stieß ihn ins Automobil: »Dort fährt er! In jenem Auto! Die Santa Fe rechts herunter! Holen Sie ihn ein!«
    Während sie die Tür schloß, bedeutete sie dem Chauffeur: »Bringen Sie ihn zu seinem Haus, in der Larrea auf Höhe der 700.«
    Zurückgekehrt leerte sie, behaglich auf dem Sofa eingerichtet, Op Oloops Whiskyglas wie jemand, der die Befreiung von einer schweren Verpflichtung feiert.
    Unter dem Rund eines liturgischen Himmels glitt das Auto in der friedlichen Nacht davon wie ein metallischer Käfer.

04:50
    Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als erneut jemand an der Wohnungstür klopfte. Wegen der Art, wie es geschah, durch das geheime Klopfzeichen, dachte Madame Blondel auf der Stelle: »Der Kommissar oder ein anderer Stammkunde.«
    Ihre Überraschung verwandelte sich in Verwunderung, als sie Gastón Marietti – niemand Geringeren als Gastón Marietti! – mit zwei weiteren Herren durch den Gang heranschreiten sah: der eine sympathisch, olivfarbenes Gesicht, krauses Haar und die Schultern eines Kaiarbeiters; der andere älter, finster dreinblickend, mit eckigem Gesicht, stählerner Brust und der Selbstsicherheit eines Meisters im Speerwurf. Für sie bedeutete dieser unerwartete Besuch eine schwer einzuordnende Ehre. Ebenso als würde der Außenminister inkognito ein Konsulat dritter Klasse aufsuchen. Die Gefühle spiegelten sich in ihrem Blick und der Miene wider, die ihr Mund beim

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