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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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Tropfen Blut in der Nähe des großen Tisches. Von seinem Fund begeistert, näherte er sich, ohne einen Laut von sich zu geben oder die Spuren zu beschädigen, auf Samtpfoten und mit Argusaugen dem Fuß der Treppe. Auf der ersten Stufe gab es keinerlei Anzeichen für einen Sturz. Die Bestätigung seines Verdachts verdichtete sich zu einer aufgeblasenen Miene, die ihn bedeutungsschwanger den Kopf wiegen ließ. Als er an seinen Ausgangspunkt zurückkehren wollte, stieß sich seine bereits an die Gegenstände und Personen in der hall gewöhnte Wahrnehmung an einer Lücke: Piet Van Saal fehlte. Die Augen vor Überraschung weit aufgerissen, steckte er den Kopf ins Arbeitszimmer. Er sah den Inspektor an der Hörermuschel kleben. Und blieb wie versteinert bei dem Gedanken, daß Van Saal das Haus verlassen haben könnte.
    So war es in der Tat. Als er ganz in die Spuren des Verbrechens vertieft war, hatte der Freund des Statistikers seinen Hut genommen und war gegangen. Er hatte sich auf die Suche nach diesem begeben, ebenso naiv und vom Gebot der Freundschaft angetrieben, wie der Wachtmeister auf seiner Suche nach Blutflecken vom Instinkt eines Profis angetrieben wurde. Doch wie diese subjektiven Befehle unter einen Hut bringen? Der Wachtmeister war wütend, voller Groll gegen die anderen und sich selbst. Die Obrigkeit verleiht primitiven Charakteren einen Anstrich der Überlegenheit, der weder Widersprüche noch Spötteleien zuläßt, so sehr diese Widersprüche und Spötteleien auch von tieferen, edleren Motiven gerechtfertigt sein mögen als das Handeln der Obrigkeit selbst.
    Auf der Straße angelangt, nahm Van Saal ein Taxi. Er nannte Op Oloops Adresse und versank in tiefgründige Grübeleien.
    Aus dem Englischunterricht am Gymnasium von Oulu erinnerte er sich an einen Aphorismus von rührender moralischer Schönheit: »A real friend is one who walks in when the rest of the world walks out.« Nähertreten, wenn alle sich entfernen! Die Hand ausstrecken, wenn der Egoismus sie zurückzieht! Trösten, wenn die anderen sich davonmachen!
    »Welch Herrlichkeit! Welch Herrlichkeit!« brach er ohne sich zu hören heraus; denn die Worte sprossen so spontan aus seinem Mund wie Blüten aus einem mit Zärtlichkeit gedüngten Boden.
    Er war fast trunken: Gutherzigkeit berauscht ebenso wie Wein. Die Aufregungen dieses Tages hatten für ihn den Sinn vieler Dinge durcheinandergebracht, ohne ihn aus dem Gleichgewicht seiner Gelassenheit bringen zu können. Unter den Umständen, unter denen er gehandelt hatte, war seine Ausgeglichenheit untadelig und vollendet gewesen. Er war stolz darauf, selbst auf seine Heftigkeit, den Konsul geohrfeigt zu haben; denn als er klangvoll die Hand auf dessen Wange niedergehen ließ, sagte ihm sein Bewußtsein, daß er angesichts der Feigheit, die er bestrafte, einen Akt der Gerechtigkeit verübte.
    Die Freundschaft ist eine Gleichung der Gefühle, die man immer durch das Absurde lösen muß. Das heißt, wenn sie sich lösen läßt; denn häufig ist es so, daß eine unbekannte Größe im Geist fortbesteht. Das »gegenseitige Wohlwollen«, mit dem sie der Philosoph von Stagira definierte, war für Van Saal keines der vielen eironeia, die uns die griechische Kultur, eingefaßt in ihre Schönheit, vermacht hat.
    Ein Freund zu sein, ist jetzt und zu allen Zeiten ein rätselhafter Scheideweg gewesen. Die Liebe folgt manchmal dem wahren Pfad. Doch die Freundschaft folgt fast unausweichlich einem krummen Pfad. Denn die Menschen vervollkommnen sich in der Falschheit und ziehen, blind für das Erhabene, die ruchlosen Spiele der Verleumdung, der Bösartigkeit und des Neides vor.
    Durch die Jahrhunderte hindurch ist viel verlogenes Zeug über die Beschaffenheit der Herzensbindungen geschrieben worden. Wenn die Freundschaft wäre, was die Literatur vorgibt, wäre die Menschheit besser. Gnadenvolle Harmonie zwischen allen Herzen. Ewige Verklärung aus feinen Opfergaben des Denkens und hochtrabender Großzügigkeit des Willens. Und sie ist doch nichts weiter als ein Ozean der Widersprüchlichkeit!
    Das Gedächtnis Van Saals bewölkte sich daraufhin mit unguten Erinnerungen. Die geheime Feindseligkeit von Franziskas Vater und die erklärte Phobie ihres Onkels gegen Op Oloop bedrückten ihn. Gegen einen so reinen, so treuen, so weisen Mann! Und angenommen, daß ein Verlobter zukünftig zum Sohn wird, wie hätte er seine Familie durch die blinde Tür einer liebedienerischen väterlichen Zuneigung betreten sollen! Und

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